Einleitung
Der spätmoderne Mensch hat sich heute fast in allen Lebensbereichen das herrschende naturwissenschaftliche Weltbild angeeignet. Wo in der Vergangenheit die Religionen Naturereignisse, das Miteinander von Mann und Frau oder die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens beschrieben und normierten, wird nun rückhaltlos den Thesen von Evolutionstheorie, Genetik und Soziologie geglaubt. Einzige Bereiche, die sich der menschlichen Erkenntnis entziehen, wie die Frage nach dem Leben vor der Geburt und nach dem Tod, die Sehnsucht nach Frömmigkeit und Spiritualität sowie einige ethische Fragen, werden noch der Religion überlassen.
Hier kommt den monotheistischen Weltreligionen eine besondere Verantwortung zu. Einerseits sind sie der Ort einer Hoffnung, die nicht nur über das im irdischen Leben zu Erwartende, sondern sogar über den Tod hinausgeht, andererseits stößt ihre Botschaft inzwischen bei vielen Zeitgenossen auf eine breite und nicht in allem unbegründete Skepsis. Die Drohung mit dem Höllenfeuer und die Hoffnung auf das Paradies verleiteten nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch noch aktuell zu schrecklichen Taten. Eine Lehre von den letzten Dingen kann also im Islam wie im Christentum nur nach der Maßgabe gefasst werden, dass sie nicht erneut Gewalt und die Unterdrückung von Menschen durch Menschen anstachelt oder legitimiert.
1. Biblisch-christliche Perspektiven
1.1 Historische und biblische Wurzeln
Die historischen Wurzeln des Jenseitsglaubens, wie er sich unterschiedlich in Islam und Christentum findet, liegen außerhalb der beiden Religionen im sogenannten Frühjudentum der Jahrhunderte um Jesu Geburt: Die Erfahrungen von Exil und Fremdherrschaft hatten den Glauben des Volkes Israel an einen engen Zusammenhang von gutem Tun mit gutem Ergehen für den Einzelnen, aber auch für das gesamte Volk schwer erschüttert. Hellenistische, teilweise pessimistische Philosophien hatten in der „Weisheitsliteratur“ des Heiligen Landes bereits ihre Spuren hinterlassen, als die brutale Fremdherrschaft des Seleukiden Antiochus Epiphanes und die durch ihn erfolgte Entweihung des Tempels das Vertrauen der führenden Schichten in eine gute Zukunft ihres Volkes endgültig erschütterte. Umfassendes Heil, Schalom, im gelobten Land, wie es der Gott Israels schon dem Patriarchen Abraham versprochen hatte, konnte nun nicht mehr auf Erden erwartet werden. Nein, diese Erde musste in kosmischen und irdischen Katastrophen untergehen. Gottes Heilszusage an Noah im Regenbogen war erneut durch die Gräueltaten von Menschen verwirkt worden.
Da man Gott jedoch nach wie vor als universalen Retter verstand, wurde die im persischen und ägyptischen Kulturraum schon bekannte Vorstellung eines Endgerichts nun auch in Israel / Palästina attraktiv: Den JHWH-Treuen sollte nicht mehr, wie allen anderen, eine triste, Hades-ähnliche Unterwelt (hebr.: Sheol) blühen, sondern sie sollten in den Gärten des Paradieses nicht endende Freuden genießen, während die untreuen Verräter von unerträglichen Höllenqualen erwartet würden. Auch Jesus und seine Jünger lebten in dieser von Endzeit-Visionen durchtränkten Umwelt, welche den Untergang des römischen Unrechtsregimes mit Feuer und Schwert und ein Gericht über die ungerechten Unterdrücker und ihre Kollaborateure in absehbarer Zeit erwartete.
Dazu kam, dass sich bereits seit der Zeit der Psalmen und Propheten die Gewissheit durchzusetzen begann, dass Gott seine Getreuen auch über den Tod hinaus liebt. Die christliche Vorstellung der individuellen Auferstehung, die im Glauben an Jesus Christus als den „Erstgeborenen von den Toten“ (Kol 1,18) gründet, hat ihre Wurzel also ebenfalls schon vor Christus. So heißt es im Buch Hiob: „Doch ich weiß, dass mein Erlöser lebt, als letzter erhebt er sich über dem Staub. Ohne meine Haut, die so zerfetzte, und ohne mein Fleisch werde ich Gott schauen. Ihn selber werde ich dann für mich schauen; meine Augen werden ihn sehen, nicht mehr fremd. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust“ (Hiob 19,25–27). Der Apostel Paulus reflektiert diesen jüdischen Glauben noch einmal vor dem Hintergrund heidnisch philosophischer Anfragen und der Erlösung durch Jesus Christus: „Was gesät wird, ist verweslich, was auferweckt wird, unverweslich. Was gesät wird, ist armselig, was auferweckt wird, herrlich. Was gesät wird, ist schwach, was auferweckt wird, ist stark. Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein überirdischer Leib“ (1 Kor 15,42–44).
Eine erste reflektierte Theologie der Auferstehung und des Jüngsten Gerichtes findet sich im ältesten Text des Neuen Testamentes, im ersten Brief des Apostels Paulus an die Thessalonicher: „Brüder, wir wollen euch über die Verstorbenen nicht in Unkenntnis lassen, damit ihr nicht trauert wie die anderen, die keine Hoffnung haben. Wenn Jesus – und das ist unser Glaube – gestorben und auferstanden ist, dann wird Gott durch Jesus auch die Verstorbenen zusammen mit ihm zur Herrlichkeit führen. Denn dies sagen wir euch nach einem Wort des Herrn: Wir, die Lebenden, die noch übrig sind, wenn der Herr kommt, werden den Verstorbenen nichts voraushaben. Denn der Herr selbst wird vom Himmel herabkommen, wenn der Befehl ergeht, der Erzengel ruft und die Posaune Gottes erschallt. Zuerst werden die in Christus Verstorbenen auferstehen; dann werden wir, die Lebenden, die noch übrig sind, zugleich mit ihnen auf den Wolken in die Luft entrückt, dem Herrn entgegen. Dann werden wir immer beim Herrn sein. Tröstet also einander mit diesen Worten!“ (4,13–18)
Jesus von Nazaret hatte sich selbst in den Mittelpunkt der frühjüdischendzeitlichen apokalyptischen Erzählform gestellt, die er bereits vorfand: Der jüdische Endzeit- und Jenseitsglaube ist ein wesentlicher Bestandteil seiner Predigt und damit auch des christlichen Glaubens: Jesus Christus selbst ist in Person der Messias, der Gesalbte, endzeitlicher König und Erlöser der Unterdrückten von Sünde und Fremdherrschaft. Er verkündet nicht allein das kommende Gottesgericht wie ein Prophet, sondern im Bekenntnis zu seiner Person und seiner Sendung entscheidet sich, ob ein Mensch im Gericht gerettet ist oder nicht. Deshalb erscheint er im zentralen Text des neutestamentlichen Kanons, der Offenbarung des Johannes auch als Richter über Gut und Böse. Der erste seiner Jünger, Petrus, bekennt ihn in markanter Weise als den Messias, und Jesus bestätigt ihn: „Simon Petrus antwortete: Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes! Jesus sagte zu ihm: Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel“ (Mt 16,16f). Im Mittelpunkt der Predigt Jesu über die Ereignisse des „Jüngsten Tages“ steht zudem sein Bild von einem neuen Königreich, dem Königreich „Gottes“ oder „der Himmel“.
Neben seinen ausdrücklich als endzeitlich verstandenen Wunderheilungen verwendet Jesus in den Evangelien eine Vielzahl von Gleichnissen aus dem alltäglichen Leben, um die Wichtigkeit und den Charakter dieses Reiches, dieser Zentral-Metapher der von Christus formulierten Hoffnung für alle Menschen guten Willens, zu umschreiben: Es wächst einerseits allmählich und aus scheinbar Unbedeutendem, wie im Gleichnis vom Senfkorn und vom Sauerteig, es entsteht ohne menschliches Zutun allein durch Gottes Handeln an der Welt, wie im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg und der selbst wachsenden Saat, es fordert aber auch wenigstens ein minimales menschliches Engagement im Vertrauen auf Gottes Hilfe, wie im Gleichnis von den Talenten und der königlichen Hochzeit, und es wird erst am Ende von der heillosen Welt geschieden, wie im Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen und dem Fischernetz. Dass Jesus ausschließlich in Gleichnissen und in seinen wunderbaren Heilungen das Reich Gottes umschreibt, weist darauf hin, dass dieses als solches dem definierenden menschlichen Zugriff entzogen ist. Zugleich ist es aber dort, wo die Werke und Haltungen des Reiches Gottes anzutreffen sind, „mitten unter euch“ (Lk 17,20). Das Gottesreich ist in der Rede Jesu zudem als noch kommend, das heißt dem unmittelbaren Zugriff entzogen, und gleichzeitig schon gegenwärtig bezeugt. Theolog:innen sprechen hier vom „eschatologischen Vorbehalt“. In allem, was geschieht, ist nach christlichem Glauben wie ein Samenkorn also schon etwas vom Reich Gottes enthalten und doch ist es den Menschen unmöglich, daraus Rückschlüsse auf den Ausgang des Gerichtes oder Einzelheiten der Existenz in Himmel, Hölle oder Fegefeuer zu ziehen.
1.2 Die Lehre der Kirche von den letzten Dingen (Eschatologie)
Die Welt und die Geschichte, wie wir sie erfahren, sind zwiespältig und doppeldeutig. Das heilsgeschichtliche Denken des Christentums geht nicht davon aus, wie der Marxismus und andere fortschrittsgläubige neuzeitliche Ideologien, dass in dialektischen oder anderen revolutionären Prozessen die Lebensverhältnisse der Menschen innerhalb dieser Welt immer besser werden, um schließlich in einem goldenen Zeitalter zu münden, genauso wenig geht es aber um eine Entwicklung zum uneingeschränkt Negativen. Vielmehr kreuzt nach christlichem Verständnis im Moment des Jüngsten Tages die mit Katastrophen zu Ende gehende irdische Zeit eine Endzeit, in der nach finalen Kämpfen zwischen guten (Engels-) und bösen (Teufels-) Mächten Gott die uneingeschränkte Herrschaft über die Welt zurückerhält. Zu den in der Bibel genannten und in der Tradition vor allem des Mittelalters und der frühen Neuzeit bekräftigten Anzeichen des Endgerichtes gehören Kriege, Hungersnöte, Erdbeben, Verfolgungen, Glaubensabfall, Auftreten einer vollkommen bösen antigöttlichen Gegenmacht, des sogenannten Antichristen, aber auch die Verkündigung des Evangeliums in allen Weltgegenden. Solchen in der Geschichte immer wieder auch zu verfehlten Datierungen führenden Konkretionen der Endzeit steht bereits im Markusevangelium Jesu Verweigerung entgegen, die Ankunft des Herrn zu terminieren: „Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand […], sondern nur der Vater“ (Mk 13,32). Auch die Person des Antichristen wurde immer wieder historisch identifiziert (z. B. Muhammad), und so der Sehnsucht Ausdruck verschafft, schon im Hier und Jetzt könne das miteinander verwobene Göttliche und Antigöttliche unterschieden werden.
Zu dem, was in der christlichen Tradition mit Hoffnungen und Befürchtungen im Jenseits primär verbunden wird, zu den Bildern von Himmel bzw. Paradies, Hölle und Fegefeuer, finden sich in der Bibel bestenfalls andeutende Beschreibungen, auch wenn sich die christliche Tradition vor allem aus Paradiesschilderungen des Alten Testamentes und Höllenschilderungen der apokalyptischen Literatur und der Offenbarung des Johannes bedient. Neuere Theologie betont immer wieder den Bildcharakter dieser Vorstellungen und die Undarstellbarkeit eines Lebens bei Gott bzw. in der absoluten Verdammnis.
Himmelsbilder wollen vor allem die unmittelbare Anschauung Gottes vermitteln, die für die Heiligen und Geläuterten erwartet wird. Sie ist vollendete Teilnahme am dreifaltigen Leben Gottes. Die Lehre von der ewigen Hölle wird heute von vielen in Frage gestellt, weil endliche Sünden keine ewige Strafe verdienten. Auch wird die Darstellung Gottes als „Liebe“ durch Jesus in den Vordergrund gestellt. Gleichwohl wird er selbst an vielen Stellen des Neuen Testamentes mit Worten über die Verwerfung der Sünder und ewige Strafe zitiert (vgl. Mt 5,29–30; 25,41). Deshalb hat die Kirche die Lehre von der ewigen Hölle immer verteidigt und zugleich darauf hingewiesen, dass sie vor allem ein Bild für die Verweigerung des sündigen Menschen ist, zum liebenden Gott ein tragfähiges Ja zu sagen.
Im Glauben an das Fegefeuer, also einen jenseitigen Reinigungsort für nicht völlig reine, aber auch nicht völlig verworfene Seelen, trennen sich die christlichen Konfessionen: Während die katholische Kirche diesen Glauben über Jahrhunderte entwickelt hat und bis heute – inzwischen auch mit starken theologischen Argumenten – verteidigt, lehnen evangelische Christ:innen den Glauben an ein Fegefeuer als nicht-biblisch ab.
2. Islamische Perspektiven
2.1 Zusammenwirken von göttlicher Gnade und menschlichem Handeln
Der Glaube an das Leben nach dem Tod, an eine Endzeit der Welt, der sich das Gericht Gottes anschließt, gehört zu den Grundprinzipien der islamischen Lehre. Der Mensch soll orientiert an diesem Ziel in dem Bewusstsein leben, dass diese Welt vergänglich, aber nicht wertlos ist. Die religiösen Werte, Weisungen und Anordnungen sollen auf dieser Welt und im Jenseits ein heilvolles Leben bewirken. Der Koran liefert einige allegorische Darstellungen von unfassbaren und unergründbaren Ereignissen der Endzeit und dem Leben nach dem Tod. Vergänglichkeit der Welt und Endlichkeit des menschlichen Lebens werden stets in Erinnerung gerufen, und es wird auch ausdrücklich erwähnt, dass nur Gott ohne Anfang und ohne Ende sei und von ihm alles ausgeht, was existiert: „Gott ist es, Der die Schöpfung zuerst hervorbringt, dann lässt Er sie wiedererstehen. Schließlich werdet ihr zu Ihm zurückgebracht“ (Sure 30,11). Nichts existiert von sich heraus, Gott ist der Schöpfer aller Dinge. Tod und Leben, Entstehen und Untergehen, gehören zur Ordnung der Schöpfung. Der Tod ist nicht ein Zunichtewerden und auch kein Ende des Lebens, sondern eine Umwandlung und ein Übergang zu einem anderen Leben. Das Ende des diesseitigen menschlichen Lebens und das Ende dieser Welt und die Ereignisse am Jüngsten Tag werden im Koran als „die Stunde“ bezeichnet: „Wir [Gott] haben die Himmel und die Erde und was zwischen beiden ist, nicht anders als in Gerechtigkeit erschaffen und die Stunde wird ganz gewiss kommen, so übe dich in angemessener Nachsicht“ (Sure 15,85). Die Verse, in denen „die Stunde“ erwähnt wird, beziehen sich sowohl auf das Ende der Welt als auch auf den Jüngsten Tag sowie den Zeitpunkt des Todes für jeden Menschen.
In den überlieferten Bildern gibt es die Vorstellung von Hölle und Paradies, die sowohl als Ort als auch als Zustand gedeutet werden. In einem höllischen Zustand werden diejenigen leben, die auf dieser Welt tyrannisch, ungerecht und überheblich gelebt und gewirkt haben. Gleiches gilt für diejenigen, die bewusst und vorsätzlich den Mitmenschen und der Schöpfung Schaden zugefügt haben. In das Paradies werden diejenigen eintreten, die ihrer Verantwortung für die Schöpfung gerecht geworden sind und solidarisch mit den Menschen gelebt und der Schöpfung gerecht und achtsam genutzt haben. Sie werden im ewigen Leben Glückseligkeit erfahren und in einem Zustand leben, in dem „Gott mit ihnen und sie mit Gott zufrieden sind.“ Der Zustand im ewigen Leben ist von den Taten der Menschen abhängig, an dem Tag wird jeder finden, was er an Gutem oder Schlechtem vorbrachte (vgl. Sure 3,30). Dennoch unterliegt der Tag des Gerichts und der Auferstehung der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes. Barmherzigkeit ist die einzige Verpflichtung, die sich Gott selbst vorschreibt: „Er hat Sich zur Barmherzigkeit verpflichtet; damit Er euch zu dem Tag der Auferstehung versammelt, an dem kein Zweifel ist“ (Sure 6,12).
Es liegt im Ermessen Gottes, der nicht willkürlich und nach einem Lustprinzip handelt, ob und wie die Menschen belohnt bzw. bestraft werden. Es ist nicht möglich, mit Sicherheit davon auszugehen, was den Menschen im ewigen Leben erwartet. Die Erzählungen werden nach den menschlichen Wahrnehmungen, Sinnen und Empfindungen gedeutet und entsprechend ausgelegt. Sie vermitteln Hoffnung und Zuversicht, dass ein heilvolles Leben zu erwarten ist, wenn der Mensch sich nicht ganz von Menschlichkeit und ethischen Prinzipien abwendet. Das Leben ist ein Geschenk Gottes. Er hat seine Gaben jedem Menschen zum Nießbrauch für eine gewisse Zeit zur Verfügung gestellt – sie sind ein anvertrautes Gut, das am Ende des Lebens an seinen ursprünglichen Eigentümer – Gott – möglichst unversehrt zurückgegeben werden soll.
Zusammenfassend könnte die individuelle Rettung und das Heil folgendermaßen subsumiert werden: Rettung und Heil erfolgen durch das unmittelbare Zusammenwirken von Gott und Mensch – Gott gewährt sie durch seinen Willen, seine Barmherzigkeit, Gnade und Gerechtigkeit; der Mensch erreicht sie durch seine Haltung, Handlung und Zuwendung zu Gott durch Gebet und zum Mitgeschöpfe durch gute Taten.
2.2 Apokalyptische Bilder des Weltendes und des Gerichts
Es gibt im Koran und in den Überlieferungen apokalyptische Vorstellungen, die eine totale Umwälzung der Welt am Ende der Zeit beschreiben: „Wenn die Sonne zusammengerollt ist, und wenn die Sterne ihren Glanz verlieren, und wenn die Berge in Bewegung geraten und wenn die im zehnten Monat trächtigen Kamelstuten vernachlässigt werden, und wenn die Meere zum Überlaufen gebracht werden, und wenn die Menschen zu Ihresgleichen gesellt werden, und wenn das lebendig begrabene Mädchen gefragt wird, um welcher Schuld willen es getötet wurde, und wenn die [mit den menschlichen Taten beschriebenen] Blätter offengelegt werden, und wenn der Himmel aufgedeckt wird, und wenn das Höllenfeuer entflammt wird, und wenn der Paradiesgarten herangebracht wird, dann erkennt jede Seele, was sie mit sich gebracht hat“ (Sure 81,1–14). Diese Bilder kündigen einen Tag an, an dem in der Schöpfung nichts so bleibt, wie es uns bekannt und vertraut ist. Mit den Naturereignissen, die umfassende Umwandlungen hervorbringen, geht das Gericht Gottes einher.
Es ist die koranische Methode, anhand von einfachen Beispielen, die dem Menschen im täglichen Leben wichtig und vertraut sind, die verschiedenen Sachverhalte verständlich zu machen. Zur Beschreibung vom Ende dieser Welt, das der Mensch in seiner hiesigen Vorstellung schwer begreifen kann, führt der Koran das Beispiel der „im zehnten Monat trächtigen Kamelstuten, die vernachlässigt werden“ (Sure 81,4) auf. Zur Offenbarungszeit hatten hochträchtige Kamelstuten eine hochgeschätzte Stellung für die Araber, sie bedeuteten für ihren Eigentümer Reichtum und Ansehen, und es war unvorstellbar, eine Stute jemals zu vernachlässigen. Nur bei allerhöchster Gefahr konnte ein Araber sich vorstellen, solch ein Tier außer Acht zu lassen. Mit diesem Beispiel erklärt der Koran, wie gewaltig und unvorstellbar dieser Tag sein wird.
Die Auslegungen und Aussagen der islamischen Denker und Theologen zu Tod, Auferstehung und Ende der Welt beziehen sich hauptsächlich auf die Verse im Koran. Dennoch sind in den Überlieferungen auch apokalyptische Vorstellungen zu finden, die ihre Quellen nicht im Koran haben und trotzdem einen wichtigen Platz in den Erzählungen besitzen. Diesbezüglich sind die Muslim:innen aller Rechtsschulen der Meinung, dass am Ende der Zeit auch auf dieser Welt ein Zeitalter des Friedens geben wird.
Während die schiitische Tradition von der Wiederkehr von Imam Mahdi („der Rechtgeleitete“) spricht, der seit über 1300 Jahren in der Verborgenheit lebt, erwartet die sunnitische Tradition die Rückkehr des Messias. Die Mahdi-Idee bzw. Messias-Erwartung verspricht ein heilvolles Ende der Welt, in der Gerechtigkeit und Frieden herrschen werden, nachdem zuvor Ungerechtigkeit, Hass, Tyrannei, Konflikte und Kriege die Oberhand hatten. Im Koran gibt es keine Stelle, die das Wiederkommen des Messias oder eines Mahdi ankündigt. In den außerkoranischen Überlieferungen bewirken beide Gestalten, Mahdi und Messias, gemeinsam, dass Gerechtigkeit und Frieden auf dieser Welt realisiert werden. Diese Erwartungen sind in der Sehnsucht der Menschen begründet, sie sind lebendige und kraftspendende Bestandteile eines Glaubens, der die Menschen auffordert, schon hier und jetzt sich für Gerechtigkeit und Frieden einzusetzen (vgl. Sure 5,8; 16,90). Je mehr Ungerechtigkeit und Unausgewogenheit in den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen vorherrschen, desto größer ist die Hoffnung auf die Zeit des Erscheinens des Mahdis. Diese Erwartung bedeutet aber nicht die individuelle Befreiung und Erlösung von Sünden, vielmehr geht es um die Erfüllung der Welt mit Gerechtigkeit.
Die Frage, ob das Auftreten des Messias und Mahdi die Endzeit signalisiert, ist nicht explizit beantwortet worden. Es ist aber in den Überlieferungen die Meinung zu finden, dass einige Zeit nach dem Erscheinen des Mahdi das große Endzeitereignis eintreten wird. Es ist offensichtlich, dass in diesen Erzählungen viele Legenden und spekulative Aussagen zu finden sind, die mit keinen koranischen Aussagen zu belegen sind. Obwohl im Koran mehrmals davon gesprochen wird, dass nur Gott weiß, wann das Ende dieser Welt sein wird, werden immer wieder aktuelle Geschehnisse als Zeichen und Merkmale der Endzeit definiert. Die Überzeugung, dass es einen Zeitpunkt geben wird, ab dem die Welt nicht mehr in dieser Form existiert und das Ende gut sein wird, gehört zu den Glaubensgrundlagen des Islam.
Fazit und Ausblick
In diesem Beitrag wurde die christliche und islamische Vorstellung von Rettung, Heil und Ende der Welt kurz dargestellt. Mit diesen Themen sind weitere Aspekte verbunden, die in der christlichen und islamischen Theologie und Philosophie kontrovers diskutiert wurden – die Frage nach Sinn und Zweck des Lebens, die Frage nach dem Sinn von Leid, die Frage nach dem Ursprung und Ende. Der Mensch hat von seinem Wesen her Handlungs-, Entscheidungs- und Gedankenfreiheit, und es gibt Taten, die jeder einzelne Mensch aufgrund seiner persönlichen willentlichen Entscheidung verantwortet, es gibt aber auch Phänomene, auf die Menschen angesichts der Rahmenbedingungen ihres Lebens keinerlei Einfluss nehmen können.
Der Gedanke der Rettung und des Heils ist für Menschen wesentlich. Die Konzepte der Religionen zur Erlösung und Rettung werden von Menschen nach eigener Überzeugung, eigenem Verständnis und Lebensumstand gedeutet. Die Aussagen und Bilder werden vielfältig erschlossen und weitergegeben. Die Tradierung dieser Erzählungen und Bilder können sowohl Hoffnung und Zuversicht schenken als auch Furcht und Angst erzeugen.
Zum Weiterlesen
Werner, Helmut (Hg.), Das Islamische Totenbuch. Jenseitsvorstellungen im Islam. Nach der Dresdener und Leipziger Handschrift, Bergisch Gladbach 2002
Nocke, Franz-Josef, Eschatologie, Ostfildern 2005
Schmid, Hansjörg / Renz, Andreas / Sperber, Jutta (Hg.), Heil in Christentum und Islam – Erlösung und Rechtleitung?, Stuttgart 2004
Valentin, Joachim, Eschatologie, Paderborn 2013