Einleitung
Einer der Glaubensgrundsätze des Islam fordert den Glauben an alle von Gott berufenen Gesandten (rusūl) und Propheten (anbiyā). Muhammad (571– 632 n.Chr.) wird als der letzte von Gott geschickte Prophet und Gesandte in die Prophetensukzession eingereiht. Als Beglaubigungskriterium seiner Prophetie steht der Koran selbst, der für Muslim:innen nicht zuletzt in seiner ästhetischen Form als unnachahmlich gilt. Muhammad ist Empfänger und Verkünder der göttlichen Botschaft, er lässt sich von der Offenbarung Gottes bestimmen und versucht ihr als Erstinterpret eine Gestaltungsform zu geben. Er stellt sozusagen eine authentische Interpretation der göttlichen Botschaft dar, zumal er in einer engen Beziehung zu Gott steht. Gott charakterisiert ihn im Koran als Rechtleitung für die Menschen (Sure 7,158). Daher spricht Gott im Koran von Muhammad als einem „schönen Beispiel“ für die Menschen (vgl. Sure 33,21–22; 4,80; 24,54). Aus muslimischer Sicht ist die Anerkennung und Verehrung von Muhammad als Prophet ein Kernbestandteil des eigenen Glaubens, so dass es für Muslim:innen oft schmerzhaft ist, wie wenig Christ:innen bisher dazu bereit sind, diese Wertschätzung mit zu vollziehen.
Gerade seine Anerkennung als Prophet fällt den meisten Christ:innen schwer, weil sie befürchten, dass die Anerkennung Muhammad als Prophet unweigerlich dazu führen würde, zentrale Glaubensinhalte des Christentums aufzugeben, weil aus christlicher Sicht der mit seiner Sendung verbundene Unbedingtheitsanspruch nicht nachvollzogen werden kann. Allerdings ist in den letzten Jahren Bewegung in die innerchristliche Debatte gekommen, so dass Christ:innen vermehrt versuchen, Muhammads Lebenswerk zu würdigen und ihn als Anfrage an sich selbst ernst zu nehmen. Christliche Theologen wie Hans Küng, Gerhard Gäde und Reinhard Leuze, die Muhammad ausdrücklich als Propheten anerkennen, stellen aber nach wie vor eine Minderheit dar.
1. Zur Persönlichkeit Muhammads
Für die muslimische Frömmigkeit spielt die charakterliche Integrität und Vorbildlichkeit Muhammads eine große Rolle. Sie wird in vielen Erzählungen ausgemalt und macht seine Lebensführung zur Richtschnur in vielen Lebenslagen. Schon zu seinen Lebzeiten wurde niemand von seinen Freunden und Gefährten so verehrt und geliebt wie Muhammad, so dass man die emotionale Bindung der Muslim:innen an den Propheten und seine Vorzüge gar nicht hoch genug einschätzen kann. Tiefe persönliche Frömmigkeit und Aufrichtigkeit paarte sich bei ihm mit einer großen Barmherzigkeit für die ihm Anvertrauten – so sehr, dass der Koran von ihm sagen kann, dass Gott Muhammad aus Barmherzigkeit zu den Menschen geschickt hat (Sure 21,107). Allerdings ist es etwas schwer, die begeisterten Darstellungen von Muhammads tugendhaftem, gütigem, humorvollem und in jeder Hinsicht liebenswertem Wesen immer auch aus historisch-kritischer Sicht zu belegen, weil die Schilderungen meist aus recht späten Quellen (8./9. Jahrhundert) stammen, die noch dazu als Tendenzschriften zu charakterisieren sind, so dass ihre historische Zuverlässigkeit umstritten ist. Die älteste Quelle für das Leben Muhammads stellt natürlich der Koran selbst dar, der allerdings recht nüchtern von ihm redet und nicht immer der überschwänglichen Verehrung seiner Person Nahrung gibt. Zugleich bietet er genügend Fakten, um im Verein mit den anderen Überlieferungen eine einigermaßen zuverlässige Rekonstruktion einiger Eckpunkte des Lebens Muhammads zu erlauben.
Muhammad beginnt mit der 20 Jahre dauernden öffentlichen Verkündigung der Offenbarung ungefähr im Jahr 613. Im Vordergrund stehen dabei die Macht und Güte Gottes und die Ankündigung des Gerichts, die Menschen zu religiöser Umkehr, zu mehr Solidarität und Nächstenliebe motivieren soll. Gerade die soziale und egalitäre Dimension seiner Botschaft ist im vom Karawanenhandel reichen Mekka äußerst unbequem. So heißt es in einer sehr frühen Sure des Koran: „Wehe jedem Stichler, Lästerer, der Reichtum sammelte und zählte! Er denkt, sein Reichtum mache ihn unsterblich. O nein! Hinabgestoßen wird er in den Trümmergrund“ (Sure 104,1–4). Anhänger findet Muhammad mit dieser unangenehmen Botschaft zunächst nur bei Sklaven und Fremden und Angehörigen des eigenen Clans, die zusammen die erste kleine muslimische Gemeinde bilden. Seine Gegner sind vor allem die betroffenen Großkaufleute und führenden Mitglieder der mächtigen Clans. Muhammad tritt in Mekka also erst einmal auf als „ein Unruhestifter, ein Rebell, der die traditionelle Wertordnung in Frage stellte“ (Motzki, Gott, 1993, 17).
Nach einiger Zeit wird mehr und mehr der religiöse Glaube und hierbei der Glaube an den einen Gott Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Dieser Glaube war besonders heikel, weil Mekkas Reichtum davon abhing, alle Götter der Gegend zu beherbergen und an der Kaaba einen toleranten und inklusiven Polytheismus zu leben. Anfangs erwägt Muhammad hier scheinbar noch, Kompromissbereitschaft zu zeigen. Aber im Laufe seiner Verkündigung wird er immer entschiedener und in der mittelmekkanischen Phase (ca. 614–619) seines Wirkens wird die Polemik gegen jede Form von Vielgötterei zum prägenden Zug seiner Verkündigung. Besonders prägnant formuliert etwa Sure 4,48: „Siehe, Gott vergibt nicht, dass ihm etwas beigesellt wird. Doch was geringer ist als dies, das vergibt er, wem er will.“ Mit dieser eindeutigen Ablehnung jedes Polytheismus greift der Koran und mit ihm der ihn verkündigende Muhammad radikal und kompromisslos die Grundlage des politischen Zusammenlebens in Mekka an. „Muhammads Eintreten für die Unterordnung unter den einen und einzigen Gott bedroht den ganzen Kult und Kommerz rund um die Kaaba, nicht nur die dortige Verehrung anderer Götter oder Göttinnen, sondern auch den Wallfahrtsbetrieb, den Markt und damit Mekkas Finanz- und Wirtschaftssystem, Mekkas Außen- und Handelspolitik, alle bestehenden religiös-sozial-politischen Institutionen, ja, die ehrwürdige Tradition, die innere Einheit und das äußere Prestige des Stammes überhaupt“ (Küng, Islam, 2006, 143).
Es kann wenig überraschen, dass Muhammad es sich mit dieser Radikalität mit den herrschenden Eliten in Mekka gründlich verdarb und sein Aufenthalt in Mekka immer riskanter für ihn wurde. Schließlich nach dem Tod seiner Frau und seines Onkels Abu Tālib, seines einflussreichsten Fürsprechers innerhalb der Mekkaner Eliten, ist er isoliert und vogelfrei. „Dass er an diesem Tiefpunkt seines Lebens nicht an sich und seiner Mission verzweifelte, zeugt für ein ungebrochenes Gottvertrauen“ (Motzki, Gott, 1993, 17). Diesem Gottvertrauen gepaart mit seinem politischen Geschick dürfte es zuzuschreiben sein, dass er den Mut zum Exodus fand und mit seinen Getreuen im Jahr 622 in das heutige Medina übersiedelte.
In Medina gelingt es ihm schnell, die dort lebenden verfeindeten Stämme auf der Basis der koranischen Verkündigung zu versöhnen; er erweist sich als geschickter Politiker und er wird zu einem erfolgreichen Staatsmann. Muhammad begreift, dass er als Prophet nicht nur an den Stamm der Quraisch, sondern an alle Araber, ja an die ganze Welt gesendet wurde (vgl. Sure 7,158; 34,28). Seine Prophetie nimmt jetzt auch stark gesetzgeberische Züge an. Zur Rolle Muhammads als Warner vor dem Jüngsten Gericht und Verkündiger des einen Gottes tritt Muhammad als Organisator, Gesetzgeber, Schiedsrichter und Feldherr auf. Dennoch wurde Muhammad zeit seines Lebens nicht nur als politischer Führer anerkannt, sondern immer auch als religiöses Vorbild.
2. Der Prophet als Vorbild für Muslime
Wenn Muslim:innen Muhammad als „schönes Beispiel“ (vgl. Sure 33,21) für ihre Lebensführung betrachten, stellt sich die Frage, ob dies bedeutet, dass er in allen seinen Handlungen von den Muslim:innen heute imitiert werden muss/soll, das heißt ob seine spezifische Sichtweise der Bedeutung der koranischen Offenbarung, die sich entsprechend in seinem Leben niederschlug, Punkt für Punkt nachgeahmt werden muss/soll. Dies ist eine grundsätzliche Anfrage an das muslimische Sunna-Verständnis: Wie viel Verbindlichkeit wird der Lebensweise des Propheten koranisch überhaupt zugesprochen? An dieser Stelle lässt sich bereits eine erste Differenzierung festmachen: Jegliche Überlieferungen, die von Urteilen und Entscheidungen des Propheten berichten und Rechtsnormen begründen, sowie Überlieferungen, die Rituale aufzeigen und formulieren (ʽibādāt), sind in ihrer Verbindlichkeit unanfechtbar. Dies können wir erst einmal als obligatorische Sunna klassifizieren, die hauptsächlich die orthopraktische Seite des Islam und der muslimischen Lebensführung umfasst.
Daneben lässt sich die persönliche Lebensführung des Propheten – als gewissermaßen die muhammadsche Sunna – stellen, die zweifelsohne stark durch die göttlichen Offenbarungen geprägt war, jedoch nicht durch eine göttliche Anordnung unmittelbar vorgegeben war. Sie – die muhammadsche Sunna – bezieht sich vielmehr auf den zwischenmenschlichen Bereich, die mu‛āmalāt. Göttlich bestimmte Handlungsweisen sind im Koran sehr deutlich erkennbar (vgl. Sure 49,11f). Wenn man sich die enge Prophet-Gott-Beziehung vor Augen hält, betont die Überlieferung: „Wer mir nachfolgt, der ist von mir, und wer meine Sunna nicht liebt, der ist nicht von mir“ (Buhārī, Kitāb an-Nikah, Bāb 1, Hn. 5063) eher eine übergeordnete Orientierung, als dass sie eine (blinde) Wiederholung bzw. Imitation des prophetischen Verhaltens meinen könnte. Der Prophet gibt mit seiner Lebensweise eine Form muslimischer Lebensweise vor, die einen translokalen identitätsstiftenden Charakter für Muslim:innen weltweit besitzt und dennoch Raum genug für regional kulturell unterschiedliche Züge lässt. Daher definiert nicht nur der Ritus eine religiöse Identität bzw. nicht allein (beispielsweise) Beten und Fasten bilden den Islam als gelebte Religion ab, sondern ein gemeinsamer Zugang im Handeln und Wahrnehmen definiert eine gemeinsame religiöse Tradition.
Diese religiöse Tradition und ihre Deutungsmuster sind primär mithin durch den Propheten, durch seinen Vorbildcharakter für die Muslim:innen, geprägt. Wohlgemerkt ist auch Muhammads Lebensweise geprägt durch die historisch-kulturellen Umstände seiner Zeit. Auch Muhammads religiöses Werden und Wachsen ist durch Erfahrungen gekennzeichnet, die ihn in eine bestimmte religiöse Lebenspraxis und ein bestimmtes Weltverständnis eingeführt haben. Das bedeutet, dass das prophetische Handeln offen für kulturelle Eigenheiten war und somit dynamisch auszulegen ist, nicht starr. Eine Übernahme oder das Bestreben genauso zu handeln, zu denken und zu fühlen wie der Prophet, bedeutet einerseits keine wirkliche Internalisierung der Haltung und des Weltverständnisses Muhammads und führt andererseits zu der Schwierigkeit, Querbezüge zu gegenwärtigen und individuellen Fragen herzustellen. Muhammad hat eine innere Veränderung durch religiöse Erfahrungen und ethisch-praktisches Handeln erlebt, er reifte mit den göttlichen Offenbarungen heran. Dies bildet seine Sunna ab, worin seine Vorbildlichkeit liegen sollte und nicht in seinen persönlichen Präferenzen, Vorlieben oder Abneigungen.
Wir möchten das an einem konkreten Hadīth verdeutlichen: „Der Prophet sagte: ‚Hilf deinem Bruder, ob er Unrecht begeht oder unter Unrecht leidet!‘ Sie fragten: ‚Oh Gesandter Gottes, diesem helfen wir, wenn er unter Unrecht leidet. Aber wie können wir ihm helfen, wenn er selbst Unrecht begeht?‘ Der Prophet erwiderte: ‚Indem Du seine Hände vom Unrecht abhältst!‘“ (Buhārī, Kitāb fī l-mazālim wa-l-ġasb, Bāb 4, Hn. 2444). Hier ist keine konkrete Situation geschildert, sondern allgemein dargestellt, wie der Prophet für den Wert Gerechtigkeit wirbt, d.h. eine abzuleitende „Botschaft“ des Propheten bzw. ein Wertmaßstab, nach dem er handelte, war, gerecht zu handeln und andere zum gerechten Handeln einzuladen. Gefragt ist nun das Leben der Muslim:innen, das es mit der prophetischen Botschaft ins Gespräch zu bringen, sprich zu korrelieren gilt. Muhammads Verständnis von gelebtem Koran soll als Orientierung für das Leben und den Aufbau der Beziehung zu Gott dienen.
3. Der Prophet als Anfrage an die Christen
Schon formal rücken der Koran und die islamische Tradition Muhammad deutlich in die biblische Tradition hinein und er wird in einer Weise als Prophet stilisiert, die stark an das Alte bzw. Erste Testament erinnert. Aber nicht nur formal, sondern auch inhaltlich gibt es eine ganze Reihe von Parallelen zwischen der Verkündigung Muhammads und der der alttestamentlichen Propheten. Wie bereits erwähnt, vertritt der Koran genauso wie die Bibel einen kompromisslosen Monotheismus, für den Muhammad seine ganze Existenz einsetzt. Hinzu kommt, dass der eine Gott, von dem er Zeugnis ablegt, als ein Gott der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit charakterisiert wird, so dass sich die koranische Gottesrede eindeutig in die biblische Tradition stellt. Dadurch, dass das spannungsreiche Zusammendenken von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes nicht nur ein entscheidendes Charakteristikum der koranischen, sondern auch der biblischen Tradition darstellt, gibt es durchaus Anhaltspunkte dafür, um Muhammad in die Reihe der biblischen Propheten zu integrieren. Allerdings ist die entscheidende Beglaubigung des prophetischen Anspruchs Muhammads ja der Koran, so dass es kaum möglich ist, ihn als Propheten anzuerkennen, ohne auch den Koran als Wort Gottes zu akzeptieren. Da der Koran aber zumindest auf den ersten Blick offenkundige Widersprüche zum Christentum enthält, ist es nur zu verständlich, dass seit den ersten christlichen Theologen, die sich mit dem Islam auseinandergesetzt haben (z. B. Johannes von Damaskus), Muhammad immer wieder als falscher Prophet angesehen oder zumindest sein prophetischer Anspruch ausdrücklich zurückgewiesen wurde.
Entsprechend hält etwa Christian Troll fest: Jesus als Propheten „anzuerkennen, kostet den oder die Muslim:in sozusagen nichts. Akzeptiert dagegen ein Christ/eine Christin ernstlich Muhammads Anspruch, der wahre und letzte Prophet zu sein, dann wendet er sich gegen das Zeugnis der wichtigsten Glaubensdokumente der Christenheit“ (Troll, Muhammad, 2007, 291). Und in der Tat kann man als Christ:in nicht den Anspruch Muhammads anerkennen, das Siegel der Propheten zu sein, weil hier ein direkter Widerspruch zur Besiegelung und Aufhebung aller prophetischen Ansprüche in Jesus Christus gegeben ist, der konstitutiv für die christliche Tradition ist. „Einem Christen ist es unmöglich, Muhammad als das ‚Siegel der Propheten‘ und gleichzeitig Christus als das höchste Wort Gottes an die Menschheit anzuerkennen.“ (Samir, Mission, 2006, 11) Damit ist allerdings noch nicht entschieden, ob Muhammad nicht in die Reihe der biblischen Propheten aufgenommen werden kann. So wie Muslim:innen ja den christlichen Einzigkeitsanspruch im Blick auf Jesus von Nazaret ablehnen und dennoch seine Besonderheit zu würdigen versuchen, könnten Christ:innen überlegen, ob sie nicht den prophetischen Anspruch Muhammads ähnlich würdigen können wie den der alttestamentlichen Propheten, auch wenn sie sämtliche Exklusivität- und Revisionsansprüche, die Muslim:innen mit Muhammad verbinden, ablehnen.
Nicht selten wird christlicherseits aber selbst diese Form der Anerkennung Muhammads mit Verweis auf sein Verhältnis zur Gewalt verweigert. Die ihm oft zur Last gelegten Überfälle auf Karawanen der Mekkaner waren allerdings reine Beutezüge, wie sie nach damaligen ethischen Maßstäben völlig normal waren. Angesichts der prekären ökonomischen Situation der nach Medina Geflohenen ist es durchaus verständlich, dass Muhammad und seine Anhänger sich das Geld bei ihren ehemaligen Stammesgenossen zu verschaffen suchten, die ja aus ihrer Sicht auch durch ihre Ablehnung und Verfolgung Muhammads ihre schwierige Lage erst herbeigeführt hatten. Offenbar hielt sich Muhammad in all seinen Bestrafungsaktionen und Gefechten immer an das geltende Kriegsrecht – nur einmal nicht, als er bei der Belagerung der Banu Nadir Palmen umhauen ließ. Seinen so oft erwähnten brutalen Aktionen steht seine historisch gut belegte maßvolle Politik gegenüber den Mekkanern nach seinem Sieg gegenüber, die vor voreiligen negativen Urteilen warnen sollte und die auch verständlich macht, wieso Muhammad von den Muslim:innen als Prophet der Barmherzigkeit angesehen wird. Unabhängig von der Frage, ob Muhammad auch christlicherseits als Prophet anerkannt werden kann, stellt er in vielerlei Hinsicht eine bleibende Herausforderung und Infragestellung für Christ:innen dar. Wenigstens auf zwei Punkte wollen wir noch kurz aufmerksam machen.
Zum einen ist es so, dass die Sunna des Propheten aus christlicher Sicht gerade in ritueller Hinsicht erstaunlich genaue Vorgaben für die muslimische Lebensform und Lebensweise macht. Während es im modernen Christentum selbstverständlich geworden ist, wie vielfältig man den eigenen Glauben leben kann, gibt es im Islam nicht zuletzt wegen des schönen Beispiels des Propheten ziemlich klare Vorgaben für die Lebensweise. Man denke nur an die Ausgestaltung des Ritualgebets, der Pilgerfahrt oder des Fastens, die bei aller Verschiedenheit der jeweiligen Rechtsschulen im Islam doch in so großer Übereinstimmung praktiziert werden, dass dadurch ein enormes Zusammengehörigkeitsgefühl unter Muslim:innen entsteht. Die dadurch entstehenden gemeinsamen Grunderfahrungen machen den Glauben sehr konkret und stabilisieren die eigene Identität. Nicht umsonst hat ja das muslimische Ritualgebet Christ:innen in ihrer ganzen Geschichte immer wieder neu für die Bedeutung des gemeinsamen regelmäßigen Betens sensibilisiert. An dieser Stelle ist der Prophet für Christ:innen bleibend eine Anfrage und Herausforderung, um mit ihrem eigenen Glauben ernst zu machen. Wird bei der Nachfolge Jesu in der Regel primär an ethische Werte gedacht, kann die muslimische Nachahmung Muhammads den christlichen Blick dafür schärfen, dass Glaube mehr ist als Ethik und dass ein religiöser Lebensvollzug sich auch zentral in rituellen Vollzügen ausdrücken kann.
Zum anderen bleibt es herausfordernd für Christ:innen, wie konkret Muhammad für Gerechtigkeit in seiner Zeit eintritt und auch bereit ist, sich im politischen Alltagsgeschäft die Finger schmutzig zu machen, um in der gesellschaftlichen Ordnung mehr von Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit erfahrbar zu machen. Während Christ:innen gerade heute immer wieder dazu tendieren, den Glauben zu privatisieren und zu spiritualisieren und sich daran gewöhnt haben, dass Religion und Staat so klar getrennt sind, dass der revolutionäre Impuls des Glaubens ungerechte Strukturen in der Gesellschaft kaum noch in Frage zu stellen vermag, kann das schöne Vorbild Muhammads immer wieder Impulse freisetzen, die das Christentum daran erinnern, dass es ihr Auftrag ist, auch diese Welt im Sinne Gottes zu verändern. Ob dabei freilich auch die Gewalt für eine gerechte Sache ein akzeptables Mittel ist oder Christ:innen an dieser Stelle der Radikalität der Bergpredigt treu zu sein haben, ist eine gewiss auch innerchristlich umstrittene Frage, zu der die Entschiedenheit des Lebensweges Muhammads herausfordert.
Zum Weiterlesen
Bobzin, Hartmut, Mohammed, München 2006
Middelbeck-Varwick, Anja / Gharaibeh, Mohammad / Schmid, Hansjörg / Yaşar, Aysun (Hg.), Die Boten Gottes. Prophetie in Christentum und Islam, Regensburg 2013
Samir, Khalil, Die prophetische Mission Muhammads, in: CIBEDO-Beiträge zum Gespräch zwischen Christen und Muslimen 2/2006, 4–11
Schöller, Marco, Mohammed, Frankfurt a. M. 2008
Stosch, Klaus von/Işık, Tuba (Hg.), Prophetie in Islam und Christentum, Paderborn u. a. 2013
Troll, Christian W., Muhammad – Prophet auch für Christen?, in: Stimmen der Zeit 225 (2007), 291–303
Isik, Tuba, Die Bedeutung des Gesandten Muhammad für den Islamischen Religionsunterricht – Systematische und historische Reflexion in religionspädagogischer Absicht, Paderborn 2015