Einleitung: Kulturgeschichtliche Allgemeinheit und rechtliche Bestimmungen in Deutschland
Menschliches Zusammenleben in Partnerschaft, Ehe und Familie ist ein kulturübergreifendes Phänomen. Ehe und Familie sind die Keimzellen und Reproduktionskräfte für die Gesellschaft. Christentum und Islam tragen auf ihre Weise maßgeblich zur Stabilisierung und Versittlichung von Ehe und Familie bei. Beide Weltreligionen berufen sich dazu auf eigene Begründungen und bringen unterschiedliche Gestaltungsformen hervor. Im christlich-islamischen Dialog sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen beiden Weltreligionen ebenso zu beachten wie die Unterschiede, die zwischen den christlichen Konfessionen bestehen.
Im Grundrechtskatalog des Grundgesetzes werden Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt. „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur aufgrund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Den nichtehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern“ (GG Artikel 6).
Weitere Bestimmungen zum Familien- und Eherecht stehen im Buch 4 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Hier finden sich Regelungen zur (monogamen) bürgerlichen Ehe, zu ihrem Zustandekommen, zu ihren Wirkungen (im Blick auf die Lebensgemeinschaft, Versorgung und die Güter), zur Ehescheidung einschließlich der Unterhaltsregelungen, zu Kindschaftsverhältnissen, zur elterlichen Sorge, Vormundschaft, Betreuung und Pflegschaft. Zu beachten ist, dass in der deutschen Rechtsprechung und Verwaltungspraxis das Ehe- und Familienrecht anderer Länder angewendet wird (Internationales Privatrecht), wenn eingewanderte Migrant:innen in ihren Herkunftsländern geheiratet haben. Sie bringen ihr Familien- und Erbrecht gewissermaßen nach Deutschland mit. Dies kann relevant werden, etwa wenn mehrere Ehefrauen eines Muslims in Deutschland berechtigte Versorgungsansprüche geltend machen oder das Erbrecht anzuwenden ist. Insofern existiert in diesem Bereich ein gewisser Rechtspluralismus, in dem auch die Scharia eine Rechtsquelle sein kann.
Das Lebenspartnerschaftsgesetz von 2001 gibt gleichgeschlechtlichen Beziehungen einen rechtlichen Rahmen. Die Rechtsfolgen werden denen der Ehe in bürgerlich-rechtlichen Angelegenheiten großenteils nachgebildet.
1. Partnerschaft, Ehe und Familie im Christentum
1.1 Die römisch-katholische und orthodoxe Position
Seit dem Kirchenvater Augustinus gilt die Ehe analog zum Taufversprechen als heilige, unwiderrufliche Verpflichtung (sacramentum) gegenüber Gott und die Liebe zwischen den Eheleuten als ein sakramentales Zeichen des Liebesbundes Christi mit der Kirche. Auf dem Konzil von Lyon (1274) wurde die Ehe ausdrücklich unter die sieben Sakramente aufgenommen. Maßgeblich für die Gegenwart ist die Ehelehre des Zweiten Vatikanischen Konzils. Nach ihr ist die Ehe ein Schöpfungsinstitut und zugleich ein sakramentales Zeichen des wirksamen Handelns Gottes in und an den Menschen. Sie hat also einen personalen und heilsgeschichtlichen Charakter. Das sakramentale Band begründet die Unmöglichkeit der Ehescheidung. Biblischer Beleg ist Mk 10,8–9, wo Jesus in unmittelbarem Zusammenhang von der Unauflöslichkeit der Ehe und vom Ein-Fleisch-Werden von Mann und Frau spricht. Eine Ehe kann durch einen Eheprozess bei Vorliegen bestimmter, eng umrissener Gründe für ungültig erklärt werden. Nur in diesem Fall können Eheleute nach einer bürgerlichen Scheidung kanonisch gültig neu heiraten. Katholische Eheleute, die diesen Weg der Nichtigkeitserklärung nicht gehen, sich bürgerlich scheiden lassen und neu heiraten, sind grundsätzlich zu den Sakramenten nicht mehr zugelassen. Die zweite Ehe wird zwar theologisch gewürdigt, ist der ersten aber nicht gleichrangig und kann nicht als Sakrament des Neuen Bundes bezeichnet werden. Über die Möglichkeit einer Teilnahme Geschiedener und Wiederverheirateter an den Sakramenten wird gegenwärtig diskutiert, auch mit Blick auf die nicht-katholischen Ehepartner in gemischt-konfessionellen Ehen.
Im Vordergrund stehen die positiven Aussagen zur Ehe, die geheiligt und Weg des Heils ist. Ehe- und Familienleben gelten als eine „hervorragende […] Schule des Laienapostolates, wo die christliche Religion die ganze Einrichtung des Lebens durchdringt und von Tag zu Tag umbildet“ (Lumen Gentium 35). Ehe und Familie bilden eine Art „Hauskirche“, in der „die Eltern durch Wort und Beispiel für ihre Kinder die ersten Glaubensboten“ (Lumen Gentium 11) sind. Formal wird die Ehe durch einen Kontrakt der gleichberechtigten Eheleute begründet. Getragen ist sie von der personalen Liebe zwischen Mann und Frau. Dafür bildet die seelisch-geistige und geschlechtliche Sympathie der Partner die Voraussetzung. Die Liebe und Bindung aneinander erhalten durch die Kraft des Sakramentes Anteil an der Liebe zwischen Christus und der Kirche. Die unauflösliche Treue und wahre Fruchtbarkeit der Ehe sind Ausdruck und Ausfluss der ehelichen Liebe. Der allein in der Ehe legitime Geschlechtsakt ist grundsätzlich auf die Zeugung von Nachkommen auszurichten. Daneben hat das intime Eheleben zum Ziel, die Treue als Ehegut zu bewahren. Aus der Hochschätzung des Kindes als Krönung der ehelichen Liebe folgt aber nicht die Wertlosigkeit der kinderlosen Familie.
Die orthodoxen Kirchen folgen diesbezüglich dem katholischen Eheverständnis. Sie kennen ebenfalls grundsätzlich keine Auflösung einer kirchlich konsekrierten Ehe. Dennoch rechnet man in der Auslegung der betreffenden Bestimmungen mit der Möglichkeit einer Zerstörung der Würde der Ehe und mit der Unmöglichkeit, die innerlich getrennten Eheleute zum Zusammenleben zu zwingen. Man lässt daher die Wiedertrauung geschiedener Menschen mit einer Bußliturgie zu.
Vor dem Hintergrund des sakramentalen Charakters der Ehe und der Hochschätzung der Familie in der katholischen Kirche gelten nicht-eheliche Partnerschaften als „irreguläre Situationen“ (Johannes Paul II.). Die im Lebenspartnerschaftsgesetz faktisch hergestellte Analogie zwischen der Ehe und homosexuellen Lebenspartnerschaften verdunkelt den Wert der Ehe für das persönliche und gesellschaftliche Leben. Sie wird einer Lebensform gleichgestellt, die ihrer Natur nach nicht auf Fortpflanzung und Familie angelegt ist. Dadurch kommt ein unzureichendes und reduziertes Eheverständnis zum Ausdruck, das geeignet ist, ein tragendes Fundament der Gesellschaft auszuhöhlen.
Die katholische Kirche lehnt die Ehe mit Angehörigen der muslimischen Religion nicht ab. Es besteht nach dem katholischen Kirchenrecht zwar das Ehehindernis der Religionsverschiedenheit (vgl. Codex Iuris Canonici 1086 § 1), von dem aber der zuständige Ortsbischof dispensieren kann, wenn (1) der katholische Partner/die katholische Partnerin verspricht, seinem Glauben treu zu bleiben und sich nach Kräften zu bemühen, dass die aus der Ehe hervorgehenden Kinder katholisch getauft und erzogen werden, wenn (2) der muslimische Partner/die muslimische Partnerin dieses Versprechen kennt und wenn (3) beide Partner:innen die Einheit und Unauflöslichkeit der Ehe im katholischen Sinn anerkennen (vgl. Codex Iuris Canonici 1125). Ist ein solcher Dispens erteilt, kann eine katholisch-muslimische Ehe nach katholischem Verständnis gültig in der katholischen Form geschlossen werden, wofür es vorgeschriebene liturgische Formulare gibt. Es kann aber auch von dieser sogenannten Formpflicht dispensiert werden, dann ist z.B. eine rein standesamtliche Trauung oder auch eine islamische Eheschließung nach katholischem Recht gültig.
1.2 Die reformatorische Tradition
Für Martin Luther und seine reformatorischen Mitstreiter:innen ist der Ehestand „ein weltliches Geschäft“ und kein Bestandteil der Heilsordnung. Für sie ist die Ehe der genuine Ort, an dem der natürliche Sexualtrieb ausgelebt und kultiviert wird. Ehe und Familie dienen der generationellen Reproduktion und sind Ort für die Erziehung der Kinder. Für Luther waren Ehe und Familie Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft und eingegliedert in die von Gott gewollte Gesellschaftsordnung. Dieser weltliche Stand und Beruf, in dem sich Mann und Frau zur gegenseitigen Freude und Hilfe miteinander verbinden, steht unter dem besonderen Segen Gottes. Der kirchlichen Seelsorge obliegt es, den Eheleuten insbesondere bei Krisen zur Seite zu stehen. Dieser ordnungstheologische Ansatz wurde im 20. Jahrhundert (mit unterschiedlichen Akzenten) von Theologen wie Dietrich Bonhoeffer oder Helmut Thielicke wiederholt.
Seit dem 18. Jahrhundert sind Tendenzen zu erkennen, die auf Ablösung der ordnungstheologischen Begründung von Ehe und Familie zielen. Unter dem Einfluss der romantischen Philosophie und Literatur wird auch in theologischer Hinsicht die Synthese von Sinnen- und Seelenliebe zum Grund und Motor für Ehe und Elternschaft. Darin sind Zuneigung, geistige Wahlverwandtschaft, sexuelle Anziehung und wechselseitige Fürsorge eingeschlossen. Diese von innen heraus gelebte Liebe gilt theologisch als Ideal, Norm und Organisationsprinzip des sozialen Miteinanders in Partnerschaft, Ehe und Familie. Sie motiviert Paarbildung und Eheschließung und begründet die verlässliche Verpflichtung für die grundsätzlich gleichberechtigten Partner:innen, in guten wie in schweren Zeiten zueinander zu stehen. Die Ehe als Lebensgemeinschaft ist, wie Karl Barth einmal formuliert hat, „der Ernstfall der Liebe“. Der damit angesprochene verlässliche Verpflichtungscharakter wird im Begriff der Verantwortung gebündelt.
Diese Begründungsstruktur für das Zusammenleben in Partnerschaft, Ehe und Familie weist über die klassische Ehe hinaus und legitimiert auch voreheliche Partnerschaften, Verbindungen von älteren Menschen (die oftmals aus Gründen der Altersversorgung nicht mehr förmlich heiraten wollen), aber auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Daher hat sich in der evangelischen Sozialethik der Begriff der Lebensformen als übergeordnete Kategorie eingebürgert. Die genannten Lebensformen können in reformatorischer Perspektive moralisch anerkannt werden, sofern sie sich interpretieren lassen als „ein gesellschaftlich geschützter Raum für gelebte Partnerschaft, ein Spielraum für die Freiheit der Partner in gegenseitiger Liebe, Wahrhaftigkeit und Vergebung, ein schützender Raum für das Aufwachsen von Kindern, für Kranke und Alte sowie ein offener Raum für schöpferische Einübung in alle Formen mitmenschlicher Verantwortung“ (Härle, Ethik, 2011, 347). Aus der vieldimensionalen Liebe als Grund und Medium von Partnerschaft und Ehe folgt, dass die Partner:innen grundsätzlich gleichberechtigt und in wechselseitiger Achtung, Rücksichtnahme und Loyalität miteinander verbunden sind. Dabei gibt es keine vorab festgelegte Rollenverteilung oder Verantwortungsressorts, vielmehr ist die Gestaltung von Partnerschaft und Ehe eine gemeinsame Aufgabe.
Vor diesem Hintergrund hat sich auch der klassische Begriff der Familie erweitert. Man spricht – in einem analytischen Sinn – von Familie bei einer Lebensgemeinschaft von mindestens einem Elternteil und mindestens einem (leiblichen oder adoptierten) Kind. Sie muss sich an den oben genannten Normen für Lebensformen messen lassen. Weil aber gerade die praktische Berücksichtigung dieser Normen im Alltagsleben gefährdet ist und es immer wieder zu Krisen in allen Lebensformen kommt, bedürfen sie der staatlichen Förderung, des staatlichen Schutzes und der seelsorgerlichen Begleitung durch die Kirchen, weil sie unverzichtbare Grundlagen für die Gesellschaft sind.
Die genannten Kriterien begründen auch die Möglichkeit zur Ehescheidung, die freilich die Ausnahme sein soll. Konsequenterweise haben die evangelischen Kirchen in Deutschland der Umstellung des Ehescheidungsrechtes von Schuld auf das Zerrüttungsprinzip zugestimmt. Die Schuldfrage ist in religiöser Hinsicht damit nicht suspendiert, sondern mit Blick auf den Eigenbeitrag, den die Eheleute zum Scheitern ihrer Ehe geleistet haben, erst in angemessener Weise gestellt. Diese Frage soll nicht zum Gegenstand der rechtlichen Auseinandersetzung gemacht werden, sondern stellt sich im Gewissen und wird von der kirchlichen Seelsorge aufgegriffen. Daher ist die Wiederverheiratung Geschiedener für die Kirchen der reformatorischen Tradition kein Problem. Seit noch nicht allzu langer Zeit gilt dies auch für die Pastor:innen.
Die Aufwertung der homosexuellen Partnerschaften nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz wurde (mit einiger Verzögerung) auch in den evangelischen Kirchen positiv rezipiert. Inzwischen wird in den meisten Landeskirchen ein Angebot zur gottesdienstlichen Begleitung aus Anlass einer solchen „Verpartnerung“ angeboten. Widerstande gegen homosexuelle Pastor:innen, die mit ihren festen Partner:innen im Pfarrhaus wohnen, gibt es kaum noch. Der reformatorische Gleichheitsgrundsatz hat sich auch an dieser Stelle durchgesetzt. Entgegen landläufiger Meinung wird diese Entwicklung theologisch nicht als Marginalisierung der klassischen Ehe verstanden, sondern als Bestätigung ihrer religiösen und moralischen Grundlagen unter neuen sozialen Konstellationen.
Ehen zwischen Christ:innen und Muslim:innen werden nicht abgelehnt, ihre Bewertung durch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ist aber uneindeutig. Das Dokument „Klarheit und gute Nachbarschaft“ (2006) betont die Schwierigkeiten und lehnt gemeinsame Zeremonien ab, bietet aber für Konfliktsituationen das Beratungsangebot und die Hilfe der Kirche an (Evangelische Kirche in Deutschland, Klarheit und gute Nachbarschaft, 2006, 55–58). Die Orientierungshilfe zur Familie „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“ (2013) dagegen sieht in gemischtreligiösen Familienkonstellationen „die Chance, Rituale und Lebensdeutungen unterschiedlicher Kulturen und religiösen Lebenszusammenhänge verstehen […] zu können […]. Gerade das Zusammenleben mit anderen Religionen erinnert […] an die religiöse Prägung aller wesentlichen Lebenszusammenhänge – von den Alltagsritualen wie Tisch- und Abendgebeten bis zu Hochzeiten und Beerdigungen“ (Evangelische Kirche in Deutschland, Autonomie, 2013, 119).
2. Ehe und Familie im Islam
2.1 Ehe als Vertrag und „Zeichen Gottes“
Muslim:innen in Deutschland haben ihren Ursprung in vielen verschiedenen Ländern und Kulturkreisen der islamischen Welt und damit auch aus sehr unterschiedlichen Familienstrukturen: z.B. traditionelle Großfamilie, ausgesprochen patriarchale Gesellschaften oder eher matriarchale wie in Südasien. Gemeinsam sind die religiösen Quellen: der Koran und die Lebenspraxis des Propheten Muhammad (Sunna). Aus dieser Sicht gehört das Familienleben zu den grundlegenden Rechten eines Menschen. Die Familie ist Kern der Gesellschaft: Dort geschieht die Sozialisation, und dort finden schwache Mitglieder soziale Sicherheit. Hilfe zur Familiengründung für Männer und Frauen gilt dementsprechend als gute Handlung. Eine zölibatäre Lebensweise ist zwar nicht direkt verboten, hat aber auf Dauer keinen religiösen Wert. Vielmehr wird Liebe und Barmherzigkeit in der Ehe als Manifestation von Gottes eigenen Attributen im raumzeitlichen Kontext, als „Zeichen Gottes“, betrachtet (Sure 30,21). Dennoch ist die Ehe kein „Sakrament“ im christlichen Verständnis, sondern im Prinzip ein vor Gott geschlossener Vertrag, in gegenseitiger Verantwortung zusammenzuleben.
In Kulturkreisen mit einer starken Geschlechtertrennung ist oft noch die Ehevermittlung durch Eltern oder andere Vertrauenspersonen üblich. Allerdings kann der Vertrag nicht ohne die Zustimmung beider Ehepartner selbst zustande kommen. Nach Ansicht der meisten Rechtsschulen soll bei der Erstverheiratung einer unerfahrenen jungen Frau ein Walī (Brautanwalt) ihre Interessen schützen, traditionell meist ihr Vater, aber man kann auch einen Juristen zu Rate ziehen, der ggf. Bedingungen für den Schutz der Frau im Ehevertrag vorschlagen kann, wenn unterschiedliche Rollen- oder – bei binationalen Ehen – andere Rechtsverständnisse eine Rolle spielen. Zu denken wäre z. B. an den Güterstand, an Fragen der Aus- und Weiterbildung, Erwerbstätigkeit und Aufenthaltsbestimmungsrecht, oder auch an ein Scheidungsrecht der Ehefrau, wenn dies im Heimatland eines Ehepartners nicht selbstverständlich ist. Unerlässlicher Bestandteil eines Ehevertrags ist die Angabe der Brautgabe (mahr), eine finanzielle Absicherung für die Frau, heute oft ein eher symbolisches Geschenk. Jedenfalls ist eine Eheschließung der in dem jeweiligen Land geltenden Rechtsordnung entsprechend durchzuführen, da die Ehe sonst nicht staatlich geschützt ist. Detailliertes Informationsmaterial zur rechtlichen Situation in verschiedenen Ländern gibt es bei Beratungsstellen für binationale Eheschließungen.
2.2 Ehehindernisse
Zu den Ehehindernissen gehört außer Blutsverwandtschaft auch „Milchverwandtschaft“ (die Heiratskandidaten wurden von derselben Frau gestillt), nicht aber Adoptivverwandtschaft. Auch Religionsverschiedenheit gilt oft als Ehehindernis: Mischehen wird nicht genügend Stabilität zugetraut. Sie sind daher in einigen islamischen Ländern nicht legal. Die Ehe zwischen Angehörigen nahe verwandter Religionen, wie dem Islam und seinen abrahamitischen Schwesterreligionen, gilt als Ausnahme. Aus Sure 5,6 wird die Erlaubnis für einen muslimischen Mann hergeleitet, eine Jüdin oder Christin zu heiraten, vorausgesetzt, dass er und seine Familie ihr Respekt und Toleranz entgegenbringen. In einer patrilokalen Gesellschaft (Frau zieht zur Familie des Mannes) ging man dabei stillschweigend davon aus, dass die Kinder in der muslimischen Familie sozialisiert werden. Da der Koran den umgekehrten Fall nicht ausdrücklich erwähnt, wird eine solche Verbindung vielfach als „verboten“ empfunden. Für Muslim: innen in Europa, die eine bodenständige, zukunftsfähige Ausprägung des Islam entwickeln wollen, müssen diese Fragen neu überdacht werden. Bislang vertreten nur relativ wenige Gelehrte die Ansicht, dass den gegebenen gesellschaftlichen Umständen entsprechend solche Mischehen zulässig sein sollten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es dazu einen regionalen Konsens geben wird.
2.3 Polygamie und Einehe
Anknüpfend an Sure 4,3 ist es in einigen Ländern für einen Mann möglich, mit bis zu vier Frauen gleichzeitig verheiratet zu sein. Der Text sollte in der Zeit nach einem Krieg die bestehende Polygamie einschränken, aber als Lösungsmöglichkeit für kriegsbedingte soziale Probleme beibehalten werden, vorausgesetzt, dass Gerechtigkeit zwischen allen Familienteilen gewahrt werden kann. Später wurden weitere Gründe für Polygamie hinzugefügt, während der Text selbst sie als Ausnahmeregelung behandelt. In einigen islamischen Ländern ist heute die Einehe gesetzliche Norm oder die Mehrehe von einer richterlichen Sondergenehmigung abhängig. Gegebenenfalls kann man sich die Einehe im Ehevertrag vorbehalten.
2.4 Familienplanung und Kinder
Kinder gelten grundsätzlich als Geschenk Gottes, und ein willkürlicher Verzicht auf Kinder gilt nicht als wünschenswert. Familienplanung ist allerdings zulässig, denn eine gute Erziehung und Bildung für Kinder ist erstrebenswert. Bedenklich sind hingegen endgültige Eingriffe wie die Sterilisation. Abtreibung ist nicht erlaubt, es sei denn, Leben und Gesundheit der Mutter wären in Gefahr, oder die Schwangerschaft wäre das Ergebnis einer Vergewaltigung. Die Gemeinschaft sollte durch die Versorgung und Betreuung von Müttern und Kindern hinreichend Sorge tragen, so dass sich niemand aus psychosozialen Gründen zu einer Abtreibung gezwungen sieht. Hinsichtlich der Frage, wann man von menschlichem Leben sprechen kann, ist die Ansicht verbreitet, dem Fötus werde nach dem dritten Schwangerschaftsmonat „die Seele eingehaucht“; innerhalb dieses Zeitraums würde dann eine Abtreibung als zulässig betrachtet (▸ Verantwortung für das Leben: Grundlagen der Ethik).
Da es bis vor kurzer Zeit in Europa üblich war, einem Adoptivkind seine tatsächliche Abstammung zu verschweigen, gilt die Adoption als nicht erlaubt, denn nach islamischem Recht müssen Kinder soweit wie möglich über ihre tatsächliche Herkunft informiert werden. Eine Adoption begründet auch keine „Blutsverwandtschaft“. Muslim:innen in Europa entschieden sich stattdessen eher für die Aufnahme eines Pflegekindes. Dieser Konflikt dürfte heute weitgehend ausgeräumt sein.
2.5 Ehescheidung
Die Ehescheidung als Ausweg aus einer verfahrenen Partnerschaft ist im Islam zulässig, auch wenn davon nicht leichtfertig Gebrauch gemacht und zuvor alle Möglichkeiten zur Versöhnung ausgeschöpft werden sollten. Traditionell gibt es verschiedene Verfahren, je nachdem ob die Initiative dazu vom Mann oder von der Frau ausgeht, im gegenseitigen Einvernehmen geschieht, oder die Modalitäten von einem Richter geklärt werden müssen. Am bekanntesten ist die Scheidung auf Initiative des Mannes (talāq, wörtl. Freistellung, nämlich der Ehefrau von ihren Pflichten). Im Koran (Sure 2,227–232) ist dazu vorgesehen, dass der Mann in Anwesenheit von zwei Zeugen gegenüber der Frau seinen Scheidungsbeschluss ausspricht und dieser nach Ablauf der Wartefrist (in der Regel drei Monate) rechtskräftig wird, wenn keine Versöhnung erfolgte; dann zahlt der Mann noch ausstehende Schulden aus dem Ehevertag. Eine Wiederheirat mit einem neuen Ehevertrag ist zweimal möglich. Weniger bekannt ist die Scheidung auf Initiative der Frau (khul‘). Dabei erklärt die Frau, dass sie die Ehe nicht fortsetzen will, und zahlt eine Abfindung bis zur Höhe der Brautgabe. Heute ist khul‘ in vielen Traditionen nur noch rein theoretisch anerkannt.
Das dritte Verfahren ist die Scheidung im gegenseitigen Einvernehmen, bei dem beide in Absprache miteinander ihre familien- und vermögensrechtlichen Angelegenheiten regeln. Viel häufiger ist demgegenüber die Scheidung auf Klage aufgrund schwerwiegender Verstöße gegen den Ehevertrag, beispielsweise Untreue des Ehepartners, Vernachlässigung, physische oder psychische Misshandlung, Verurteilung eines Ehepartners zu einer längeren Haftstrafe. Auch Impotenz kann ein Scheidungsgrund sein. In Ländern, in denen die Scheidung selbst Sache eines säkularen staatlichen Rechtssystems ist, hat ein islamischer Richter eher die Aufgabe eines Mediators.
In vielen Ländern gilt die historisch bedingte Regelung, dass Kleinkinder bei der Mutter bleiben und der Vater für den Unterhalt verantwortlich ist, bis sie von einem festgelegten Alter an (Jungen eher als Mädchen) in die Obhut des Vaters überwechseln. Daraus wird oft geschlossen, das Kind „gehöre“ dem Vater. Kinder sind jedoch nicht das „Eigentum“ ihrer Eltern, sondern ihnen anvertraute Menschen. Andererseits sollen weder Vater noch Mutter unzumutbaren Belastungen ausgesetzt werden (vgl. Sure 2,233), und auch nach einer Scheidung wird gegenseitige Beratung in Erziehungsfragen nahegelegt.
Ausschlaggebend ist in jedem Fall das Kindeswohl. Vom Propheten wird auch ein Präzedenzfall überliefert, nach dem er einem älteren Jungen selbst die Wahl überließ und sich dieser für seine Mutter entschied.
Islamisches Recht ist kein starres System. Das, was Muslim:innen in Europa schließlich als rechtlich und ethisch verbindlich empfinden, muss sich durch eine dynamische Rechtsfindung vor Ort entwickeln, in einem konstruktiven inhaltlichen Dialog der hier vertretenen islamischen Traditionen sowie mit den vorhandenen Rechtsvorstellungen.
Fazit
Ehe und Familie bilden im Verständnis beider Religionen eine religiöse und soziale Keimzelle. Die sittlichen Verpflichtungen, die die Partner:innen füreinander und für die Kinder übernehmen, können im Begriff der Verantwortung gebündelt werden. Die unterschiedlichen rechtlichen, kulturellen und religiösen Traditionen und Einstellungen fordern bei gemischt-religiösen Konstellationen in Ehe und Familie einen behutsamen und respektvollen Umgang miteinander. Bei der Lösung von Problemen, die unvermeidlich auftreten werden, sollten die Religionsgemeinschaften den Beteiligten fürsorglich und helfend zur Seite stehen. Denn im partnerschaftlichen Nahbereich bewährt sich die sittliche und verbindende Kraft des Glaubens.
Zum Weiterlesen
Breuer, Rita, Familienleben im Islam. Traditionen – Konflikte – Vorurteile, Freiburg i. Br. 2008
Erzbischöfliches Generalvikariat Köln (Hg.), Katholisch-islamische Ehen. Eine Handreichung, Köln 2006
Evangelische Kirche in Deutschland (Hg.), Zwischen Autonomie und Angewiesenheit. Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken. Eine Orientierungshilfe des Rates der EKD, Gütersloh 2013
Gruber, Hans-Günter, Familie und christliche Ethik, Darmstadt 1995
Päpstlicher Rat für die Familie (Hg.), Lexikon Familie. Mehrdeutige und umstrittene Begriffe zu Familie, Leben und ethischen Fragen, redaktionelle Bearbeitung der deutschen Ausgabe von Hans Reis, Paderborn 2007
Schmid, Hansjörg / Renz, Andreas / Takım, Abdullah / Ucar, Bülent (Hg.), Verantwortung für das Leben. Ethik in Christentum und Islam, Regensburg 2008, bes. 83–116