Geschichtlicher Rückblick: Militärische Konfrontation und Polemik, aber auch Koexistenz und kulturelle Lernprozesse
Die Westkirche hat den Islam und seine Anhänger, die man „Ismaeliten“ oder „Sarazenen“ nannte und damit weniger als religiöse denn als ethnisch-genealogische Gruppe einordnete, lange Zeit in erster Linie als militärische Bedrohung im Westen (Iberische Halbinsel, Südfrankreich), Süden (Sizilien, Süditalien) und Südosten Europas wahrgenommen. Die ersten westkirchlichen Theologen, die sich mit dem Islam beschäftigten, wie zum Beispiel Eulogius (gest. 859), Erzbischof von Toledo, oder dessen Zeitgenosse Paul Alvarus (gest. 861), ein Laie aus Córdoba, standen ganz unter dem Eindruck der militärischen Auseinandersetzungen und der islamischen („maurischen“) Herrschaft in Andalusien seit dem Anfang des achten Jahrhunderts. Ihre Kenntnisse über den Islam waren spärlich, ihr Anliegen von rein apologetischem Interesse, d.h. es ging um Selbstvergewisserung durch Abgrenzung vom und Abwertung des Anderen, so auch noch bei späteren Theologen wie Petrus Venerabilis (1094–1156), der etwa Muhammad mit dem Teufel identifizierte, oder Thomas von Aquin (1225–1274). Gute Kenntnisse über den Islam hatten lediglich muslimische Konvertiten zum christlichen Glauben, die sich dann mit großer Leidenschaft gegen ihren früheren Glauben wandten. Polemik dominierte über Jahrhunderte, der Islam wurde bestenfalls als christliche Häresie, häufiger als Unglaube und als Sündenstrafe Gottes und Muhammad als Pseudoprophet, Verführer und Antichrist gedeutet (vgl. Goetz, 2013). Dieses Bild von der islamischen Religion wird die Wahrnehmung in Europa bis weit ins 20. Jahrhundert hinein prägen und islamfeindliche Ideologien in der Gegenwart knüpfen daran an.
Im neunten Jahrhundert kommt in Andalusien die Bezeichnung „Mohammedaner“ (Mahometian) oder Muslime (Muzlemitae) auf, also eine religiöse Bezeichnung für die Angehörigen des Islam (vgl. Goetz, 2013, Bd. 1, 261), die man freilich als Ungläubige und gottlose Heiden betrachtete. Mit Beginn der sog. „Rückeroberung Spaniens“ (Reconquista) und der Kreuzzüge, in denen die Ideologie eines heiligen Glaubenskrieges und christlichen Rittertums im Kampf für Christus und die Kirche propagiert wurde, veränderte sich das Verhältnis weiter ins Negative, ins Feindselige, obgleich es selbst in dieser Phase immer wieder politisch-militärische Koalitionen und interkulturelle Lernprozesse gab. Es gab regen Handel, diplomatische Kontakte und einen für die christlich-europäische Geistes- und Kulturgeschichte folgenreichen Wissens- und Kulturaustausch mit der arabisch-islamischen Welt (vgl. Al-Khalili, 2011). Ein Zusammenleben (convivencia) war über gewisse zeitliche und geographische Räume also möglich (vgl. Catlos, 2019).
Der heilige Franz von Assisi (1181–1226) begleitete die Kreuzritter auf dem fünften Kreuzzug nach Ägypten, folgte aber im Unterschied zu den meisten Zeitgenossen nicht der Kreuzzugsideologie, sondern wollte in friedlicher Absicht und in Demut den Muslimen begegnen und einen Dialog des Lebens führen (vgl. Dziri, 2021). So ereignete sich ein interessanter Lernprozess bei Franziskus: „Zwar blieb seine Predigt erfolglos, doch Franz soll vom Vorbild des islamischen Heeres, das fünfmal täglich zum rituellen Gebet niederfiel, so beeindruckt worden sein, dass er seine Brüder bat, zu bestimmten Tagesstunden alle Gläubigen durch Rufe oder Glocken zum Gotteslob aufzurufen. In einer von Feindschaft gegenüber dem Islam gekennzeichneten christlichen Welt sah Franz im Lobpreis des Allmächtigen eine verbindende Brücke“ (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 2008, 13). Einige andere wie Ramon Llull (1232–1316) oder Nikolaus von Kues (1401–1464) setzten sich für einen friedlichen Wettstreit mit den Muslimen ein, doch solche Stimmen waren in der Minderheit.
Explizite Aussagen des kirchlichen Lehramtes über den Islam gibt es bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil kaum, lediglich ein Brief von Papst Gregor VII. aus dem Jahr 1076 machte die außergewöhnliche Aussage, dass Christen und Muslime doch, wenn auch auf verschiedene Weise, zu dem einen Gott beten. Das Konzil zu Florenz (1442) erwähnt die Muslime nicht explizit, wenn es als verbindliche Glaubenslehre vorgibt, dass „weder Heide noch Jude noch Ungläubiger oder ein von der Einheit Getrennter – des ewigen Lebens teilhaftig wird, vielmehr dem ewigen Feuer verfällt, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist, wenn er sich nicht vor dem Tod ihr [der katholischen Kirche] anschließt“ (Denzinger, Kompendium, 2005, Randziffer 1351). Die Muslime sind hier unter die Heiden oder Ungläubigen subsumiert, die pauschal von wahrer Gotteserkenntnis und Heil ausgeschlossen werden.
Dieser Heilsexklusivismus blieb in der katholischen Lehre und Theologie bestimmend bis in das 20. Jahrhundert hinein. Öffnende Ansätze wie die des flämischen Theologen Albert Pigge (1490–1542) oder des Jesuiten Juan de Lugo (1583–1660), die von der Heilsmöglichkeit von Muslimen aufgrund ihres Gottesglaubens ausgingen, blieben lange Zeit die Ausnahme (vgl. Renz, Kirche, 2014, 44 f). Erst eine veränderte Hermeneutik von Bibel und Tradition, eine wissenschaftliche Erforschung des Islam durch die moderne Orientalistik und schließlich ein gewandeltes Selbstverständnis der katholischen Kirche, das wesentlich einzelnen Vorreitern wie Louis Massignon (1883-1962) und dem Dominikanerpater Georges Anawati (1905-1994) zu verdanken war (vgl. Bsteh 2020), führte im Laufe des 20. Jahrhunderts auch zu einer veränderten Haltung und Verhältnisbestimmung zum Islam.
Die neue Haltung des Zweiten Vatikanischen Konzils: Hochachtung
Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) trat die katholische Kirche im Zuge des aggiornamento („Verheutigung“, Update) in einen Dialog mit der Welt und damit auch mit den anderen Religionen ein (vgl. Renz 2014). Bereits in seiner Antrittsenzyklika Ecclesiam Suam von 1964 hatte Papst Paul VI. den Islam als monotheistische Religion gewürdigt und in eine besondere Nähe zur Kirche gesetzt. In zwei Dokumenten nimmt die Konzilsversammlung diesen neuen Ansatz auf: in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen Gentium sowie in der Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra Aetate).
Dabei muss Nostra Aetate 3 im Kontext der grundlegenden Aussage von Lumen Gentium 16 gelesen werden: Dort wird konstatiert, dass der Heilswille Gottes auch die umfasst, „welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslime, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird.“ Muslim:innen stehen demnach in einer wahren und heilschaffenden Beziehung zu dem einen, allmächtigen und barmherzigen Gott, den die Christ:innen als dreieinigen bekennen. Im lateinischen Originaltext ist es das Wort nobiscum (mit uns), das die entscheidende Aussage impliziert: Mit diesem Wort schreibt das Konzil für die katholische Theologie fest, dass Christen und Muslim (zusammen mit den Juden) zu ein und demselben Gott beten, auch wenn es Unterschiede im Gottesverständnis gibt, die hier nicht, dann aber in Nostra Aetate 3 zumindest angedeutet werden. Damit hat das Konzil zugleich jenen vorkonziliaren Heilsexklusivismus überwunden und schließt die Muslime (und andere) in den Heilswillen Gottes mit ein (Inklusivismus), ohne damit jedoch alle Religionen als gleichwertige Heilswege zu betrachten.
Nostra Aetate 2 betont, dass die katholische Kirche nichts von alledem ablehnt, was in den anderen Religionen „wahr und heilig ist“ und fordert die Katholiken auf, „dass sie mit Klugheit und Liebe, durch Gespräch und Zusammenarbeit mit den Bekennern anderer Religionen sowie durch ihr Zeugnis des christlichen Glaubens und Lebens jene geistlichen und sittlichen Güter und auch die sozial-kulturellen Werte, die sich bei ihnen finden, anerkennen, wahren und fördern“. Nostra Aetate 3 geht dann ausführlicher auf den Glauben der Muslime ein: „Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime“ – eine völlig neue Haltung, die im Gegensatz zur bis dahin dreizehn Jahrhunderte vorherrschenden Missachtung oder gar Verachtung der Muslim:innen und ihres Glaubens erst die unabdingbare Voraussetzung für eine unvoreingenommene Einschätzung des Islam sowie für einen wirklichen Dialog zwischen gleichberechtigten Partnern geschaffen hat; eine Haltung, die die Gegenwart Gottes beim Anderen entdeckt und anerkennt!
Wie Lumen Gentium 16 und ganz dem islamischen Selbstverständnis gemäß stellt Nostra Aetate 3 das monotheistische Bekenntnis der Muslim:innen an den Anfang und damit auch in den Mittelpunkt seiner Aussagen (Theozentrik), wobei Attribute Gottes genannt werden, welche christlichem und islamischem Glauben gemeinsam sind: Muslime beten den alleinigen Gott an, „den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“ (vgl. Sure 2,255). Dass dieser Gott nach islamischer Überzeugung „zu den Menschen gesprochen hat“, wird in Nostra Aetate 3 formuliert, der Koran aber wird wie schon in Lumen Gentium 16 ebenso wenig erwähnt, wie die Rolle und der Anspruch Muhammads als Prophet und religiös-ethisches Vorbild für die Muslim:innen. Eine offizielle katholische Positionierung zu Koran und Muhammad steht bis heute aus. Allerdings spricht Papst Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium von 2013 davon, dass „die heiligen Schriften des Islam […] Teile der christlichen Lehre“ bewahren (Nr. 252).
Neben dem Glauben an den allmächtigen und barmherzigen Schöpfergott bemühen sich die Muslime, dessen „verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft“ (NA 3). Mit dieser Formulierung ist die Bedeutung von „Islām“ als ganzheitliche und ausschließliche Hingabe an Gott sowie das islamische Selbstverständnis exakt getroffen. Des Weiteren sehen die Konzilsväter Gemeinsamkeiten im Glauben an die Auferweckung der Toten, das Jüngste Gericht und die Vergeltung der Taten. Damit ist implizit auch das lineare Geschichtsverständnis sowie Sinn und Wert des individuellen menschlichen Lebens auf Erden angesprochen, die Christentum und Islam gemeinsam sind.
Eine weitere Brücke der Verständigung zwischen christlichen und muslimischen Gläubigen sieht Nostra Aetate 3 in der Verehrung der Jungfrau Maria (vgl. Sure 19,19–21), welche die Muslime „bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen“ (vgl. Tatari/von Stosch, 2021). Der wohl entscheidende Unterschied zwischen Christentum und Islam wird lediglich in einem Nebensatz angesprochen: Jesus wird von muslimischen Gläubigen zwar als Prophet verehrt, aber nicht als Gott – genauer müsste man sagen: als menschgewordenes Wort Gottes – anerkannt. Implizit ist im Islam damit auch eine Kritik und Ablehnung der christlichen Trinitätslehre verbunden (vgl. Sure 112). Ein weiterer Streitpunkt wird in der Konzilserklärung nicht erwähnt: Die traditionelle islamische Theologie leugnet mit Berufung auf Sure 4,157 den Kreuzestod und damit auch die Heilsbedeutsamkeit des Kreuzestodes Jesu. Dieses Schweigen ist nur auf dem Hintergrund der in Nostra Aetate 1 erklärten Intention zu verstehen, stärker die Gemeinsamkeiten als die Unterschiede zu betonen. Schließlich wird das muslimische Bemühen um eine „sittliche Lebenshaltung“ sowie die religiöse Praxis des Gebets, Almosengebens und Fastens gewürdigt, wichtige – wenn auch unvollständig aufgezählte – Säulen des Islam, die mit der christlichen Glaubenspraxis verbinden.
Der letzte Abschnitt von Nostra Aetate 3 ruft dazu auf, die unselige Geschichte der christlich-islamischen Feindschaften beiseitezulassen und sich stattdessen um gegenseitiges Verstehen sowie um „Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen“ zu bemühen. Damit ist diese Erklärung die katholische Magna Charta für den Dialog mit den Muslim:innen, die bis heute nichts von ihrer Aktualität und Bedeutung für Kirche und Gesellschaft verloren hat.
Nachkonziliare Kirche: Geschwisterlicher Dialog im Dienst für Frieden und Gerechtigkeit
Bereits während des Konzils (1964) hatte Papst Paul VI. das „Sekretariat für die Nichtchristen“ als vatikanische Behörde einrichten lassen, die den Dialog mit den anderen Religionen führen und fördern sollte. Das Sekretariat wurde 1988 in „Päpstlicher Rat für den Interreligiösen Dialog“ umbenannt, der eine eigene Unterkommission für den Dialog mit dem Islam hat. In dem Grundlagenpapier „Dialog und Verkündigung“ (1991) werden folgende Ebenen und Ziele des interreligiösen Dialogs unterschieden, die auch für den christlich-islamischen Dialog gelten:
a) Der Dialog des Lebens, in dem Menschen in einer offenen und nachbarschaftlichen Atmosphäre zusammenleben wollen, indem sie Freud und Leid, ihre menschlichen Probleme und Beschwernisse miteinander teilen.
b) Der Dialog des Handelns, in dem Christ:innen und Nichtchrist:innen für eine umfassende Entwicklung und Befreiung der Menschen zusammenarbeiten.
c) Der Dialog des theologischen Austausches, in dem Spezialisten ihr Verständnis ihres jeweiligen religiösen Erbes vertiefen und die gegenseitigen Werte zu schätzen lernen.
d) Der Dialog der religiösen Erfahrung, in dem Menschen, die in ihrer eigenen religiösen Tradition verwurzelt sind, ihren spirituellen Reichtum teilen, z. B. was Gebet und Betrachtung, Glaube und Suche nach Gott oder dem Absoluten angeht“ (Nr. 42).
Diesen Ebenen oder Aspekten wäre noch der Dialog der ästhetischen Erfahrung hinzuzufügen, der die sinnliche Dimension des Fühlens, Sehens, Hörens, Schmeckens betrifft. Die religiöse Musik etwa, auch religiöse Architektur und Kunst wie die Kalligraphie können positive und nachhaltige Zugänge eröffnen, die die ganzen Menschen ansprechen.
Schließlich ist auch der Dialog der Institutionen und religiösen Autoritäten nicht zu unterschätzen (vgl. Sperber, 2018), weil sie eine breite mediale Wirkung entfalten können und Vorbildcharakter haben. Dazu gehören offizielle Treffen etwa des Papstes mit muslimischen Würdenträgern wie dem Scheich der Azhar in Kairo (vgl. Hamdan, 2014, 222-300).
Der Dialog auf diesen Ebenen setzt die wechselseitige Anerkennung der Religionsfreiheit voraus. Auf diesen Grundlagen führt die katholische Kirche vom Papst angefangen bis zur Ebene der Pfarrgemeinden heute den Dialog mit dem Islam und den Muslim:innen. Es wurde üblich, dass die Päpste bei ihren Pastoralreisen stets auch Repräsentanten muslimischer Gemeinschaften begegnen und sich in Ansprachen und bei anderen Gelegenheiten an sie wenden. Dabei wurden die Aussagen des Konzils nicht nur rezipiert, sondern auch inhaltlich vertieft. Papst Johannes Paul II., der erste Papst, der eine Moschee betrat und darin betete (2001 in Damaskus), sprach muslimische Teilnehmer eines Symposiums im Jahr 1985 mit folgenden Worten an: „Unser und euer Gott ist ein und derselbe und wir sind Brüder und Schwestern im Glauben Abrahams“ (zitiert nach Renz, 2014, 194). Kein Papst vor ihm hat dem Dialog mit dem Islam mehr Aufmerksamkeit gewidmet.
Stärker als Johannes Paul II. betonte Papst Benedikt XVI. neben den Gemeinsamkeiten auch die Unterschiede zwischen den Religionen. Seine Regensburger Vorlesung im Herbst 2006 hatte infolge eines unglücklichen Zitats mittelalterlicher Polemik zunächst negative Folgen für die Beziehungen zur islamischen Welt, doch das eigentliche und berechtigte Anliegen des Papstes war, den Zusammenhang von Religion und Vernunft zu betonen und Gewalt als vernunft- und religionswidrig zu erklären. Angestoßen dadurch und durch zwei offene Briefe von muslimischen Gelehrten (▸ Zugänge zum christlich-islamischen Dialog aus muslimischer Perspektive, ▸ Muslimische Akteure) entstand das „Katholisch-muslimische Forum“, das in seiner gemeinsamen Erklärung von 2008 unter anderem feststellt: „Wir bekennen, dass Katholiken und Muslime berufen sind, unter gläubigen Menschen und für die Menschheit insgesamt – Werkzeuge der Liebe und der Harmonie zu sein, die jeder Form von Unterdrückung, aggressiver Gewalt und Terrorismusabschwören – vor allem jenem, der im Namen der Religion verübt wird –, und das Prinzip ‚Gerechtigkeit für alle‘ hochhalten“ (Katholisch-Muslimisches Forum, Abschlusserklärung 2008, Nr. 11). Ein zweites Treffen fand 2011 statt, ein drittes 2014, bei dem man erneut eine religiöse Legitimation von Gewalt verurteilte, ein viertes 2017.
Auf der Basis des gewachsenen Vertrauens entstand schließlich als bisheriger Höhepunkt der offiziellen katholisch-islamischen Beziehung die Erklärung von Abu Dhabi von 2019, das Papst Franziskus und Großimam der Azhar Ahmad Al-Tayyib feierlich unterzeichneten. Dieses „Dokument über die Geschwisterlichkeit aller Menschen“ ist das erste von einem Papst und einem der höchsten muslimischen Gelehrten gemeinsam erarbeitete und unterzeichnete Dokument. Es argumentiert vor allem gegen die religiöse Legitimation von Fanatismus und Gewalt, betont aber auch die gemeinsame Würde und grundlegende Rechte aller Menschen und fordert die Menschen zum aktiven Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit auf. Der Tag der Unterzeichnung, der 4. Februar wurde in der Folge von der UN als globaler „Tag der Geschwisterlichkeit aller Menschen“ ausgerufen. Papst Franziskus greift in seiner Enzyklika Fratelli tutti von 2020 mehrmals auf dieses Dokument zurück.
Fazit
Der katholisch-islamische Dialog hat eine lange und wechselvolle Geschichte, die voll von Missverstehen, Polemik und Gewalt, aber auch reich an Begegnung, Beeinflussung und Freundschaften ist. Diese Geschichte ist noch längst nicht zu Ende geschrieben und aus ihr lässt sich vieles lernen auch für die Gegenwart, vor allem die Erkenntnis aus der Erfahrung, dass für den Dialog eine Haltung des wechselseitigen Respekts notwendig ist. Erst aus dieser Haltung heraus sind echte Lernprozesse, ein friedliches Zusammenleben und ein konstruktives Zusammenwirken zum Wohl der Menschen möglich. Eine solche Haltung lässt sich aus beiden Glaubensweisen heraus begründen und bewirken – erst dann werden christliche und muslimische Gläubige ihrem Auftrag gerecht und werden sie zu glaubwürdigen Zeugen ihres Bekenntnisses voreinander und vor der Welt.
Zitierte Literatur
Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Leitlinien für das Gebet beim Treffen von Christen, Juden und Muslimen (Arbeitshilfen Nr. 170), Bonn 2008
Al-Khalili, Jim, Im Haus der Weisheit. Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur, Frankfurt a.M. 2011
Goetz, Hans-Werner, Die Wahrnehmung anderer Religionen und christlich-abendländisches Selbstverständnis im frühen und hohen Mittelalter (5.-12. Jahrhundert, 2 Bde., Berlin 2013
Renz, Andreas, Die katholische Kirche und der interreligiöse Dialog. 50 Jahre „Nostra aetate“ – Vorgeschichte, Kommentar, Rezeption, Stuttgart 2014
Hamdan, Hussein, Der christlich-islamische Dialog der Azhar-Universität, Freiburg i.Br. 2014
Sperber, Jutta, Die anthropologischen Aspekte in den christlich-muslimischen Dialogen des Vatikan, Göttingen 2018
Bsteh, Petrus/Proksch, Brigitte (Hg.), Wegbereiter des interreligiösen Dialogs. Bd. III. Suche nach Verständigung: Christentum – Islam, Wien 2020
Tatari, Muna/von Stosch, Klaus, Prophetin – Jungfrau – Mutter. Maria im Koran, Freiburg i.Br. 2021
Catlos, Brian A., al-Andalus. Geschichte des islamischen Spanien, München 2021
Dziri, Amir/Hilsebein, Angelica/Khorchide, Mouhanad/Schmies, Bernd (Hg.), Der Sultan und der Heilige. Islamisch-christliche Perspektiven auf die Begegnung des hl. Franziskus mit Sultan al-Kamil (1219-2019), Münster 2021
Zum Weiterlesen
Christlich-islamische Begegnungs- und Dokumentationsstelle (CIBEDO) (Hg.), Die offiziellen Dokumente der katholischen Kirche mit dem Islam, zusammengestellt von Timo Güzelmansur, Regensburg 2009
Middelbeck-Varwick, Anja, Cum Aestimatione. Konturen einer christlichen Islamtheologie, Münster 2017.
Renz, Andreas, Gott und die Religionen. Orientierungswissen Religionen und Interreligiosität, Stuttgart 2021