Einleitung
Der christlich-islamische Dialog lebt vom Respekt vor der Eigen- und Andersartigkeit des Gegenübers und vom Vertrauen in die gemeinsamen und gleichen Rechte sowie deren gleichberechtigte Wahrnehmung durch alle Dialogpartner. Wird die menschenrechtliche und soziale Gleichberechtigung ausdrücklich oder unterschwellig geleugnet, ist dem Dialog der Boden entzogen und ein gelingendes gesellschaftliches Miteinander grundsätzlich gefährdet. Von fundamentalen bzw. radikalen („an die Wurzel gehenden“) religiösen Positionen an sich muss diese Gefahr noch nicht ausgehen, sofern die Spielregeln der pluralistischen Gesellschaft angenommen und in Anspruch genommen werden. Religionen mit einem universellen Wahrheitsanspruch wie das Christentum und der Islam sind in dieser Hinsicht generell herausgefordert, ihre Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit zu stärken. Umso wichtiger ist es, sich mit dem schmalen Grat bzw. dem oft gleitenden Übergang zu extremistischen und damit nicht nur „extremen“, sondern auch verfassungswidrigen Einstellungen auseinanderzusetzen.
Islamismus und Muslimfeindlichkeit
Der Begriff Extremismus gehört zunächst in die politische Sphäre. Extremistische Einstellungen, die sich auch aus religiösen Überzeugungen speisen können, streben die politische Transformation der Gesellschaft auf legalen und friedlichen bis militanten Wegen an und bedrohen das gesellschaftliche Zusammenleben, indem sie dessen Grundlagen infrage stellen oder offen bekämpfen. Im Bereich des christlich-islamischen Dialogs sind sie durch die Präsenz des in sich breit gefächerten Islamismus als einer Spielart des Extremismus sowie durch zunehmende antiislamische, muslimfeindliche Agitation in der Gesellschaft ein stets gegenwärtiges und nicht zu vernachlässigendes Thema. Sowohl von islamistischen wie muslimfeindlichen Positionen aus wird im Netz gegen missliebige Personen und Themen gehetzt, wird der interreligiöse Dialog als gefährlich dargestellt, werden christliche wie muslimische Akteure, die sich für Begegnung und Verständigung zwischen den Religionen einsetzen, als Verräter an den je eigenen Werten diffamiert und werden Dialogprozesse torpediert. Auch wenn mit Extremisten jeglicher Couleur ein Dialog ausgeschlossen scheint, ist doch die Kenntnis ihrer ideologischen Hintergründe und Positionen unerlässlich, um Beeinflussungsstrategien der Gesellschaft offenzulegen und Versuchen zur Instrumentalisierung des Dialogs entgegenwirken zu können. Lokale und überregionale Bündnisse gegen Extremismus, Rassismus und Gewalt (z. B. Dürener Bündnis, verschiedene Initiativen Bunt statt Braun (z. B. Rostock) , Aktion Courage, Kompetenzzentrum gegen Extremismus in Baden-Württemberg konex oder das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ sind auf allen Ebenen tätig, schärfen das Bewusstsein und stärken die aktive Toleranz weit über den Rahmen des christlich-islamischen Dialogs hinaus.
Extremistische Einstellungen unter Muslimen
Islamismus ist eine politisch-extremistische Ideologie, die politische Herrschaft aus der Religion ableitet und das Ziel einer „islamgemäßen“ Transformation der gesellschaftlichen Verhältnisse verfolgt. Die staatliche Ordnung und die Gesellschaft bis in die private Lebenswelt der Menschen sollen von der fundamentalistisch ausgelegten Scharia bestimmt werden, die als umfassendes Regelsystem auf der Basis von göttlich geoffenbarten, unveränderlichen Normen verstanden wird. Eine Trennung von Religion und religiös-weltanschaulich neutralem Staat (Prinzip der Säkularität) wird abgelehnt, die säkulare rechtsstaatliche Demokratie allenfalls pragmatisch akzeptiert, häufig jedoch abgewertet und verächtlich gemacht und im Grundsatz als „Menschenwerk“ zurückgewiesen. Islamisten erheben einen exklusiven Wahrheits- und politischen Geltungsanspruch ihres Verständnisses vom Islam und leiten daraus im Sinne des islamistischen Slogans „Der Islam ist die Lösung!“ die Gestaltung von Staat und Gesellschaft ab. Wie diese Gestaltung konkret aussehen soll (Theokratie, Theodemokratie, Kalifat, Parlamentarismus im Rahmen schariarechtlicher Normen o. a.) und mit welchen Mitteln sie zu erreichen sei, wird von politisch-legalistischen, revolutionären oder dschihadistischen islamistischen Gruppierungen in ihren verschiedenen Formen durchaus sehr unterschiedlich gesehen. Gewaltbereitschaft und Gewaltanwendung sind indes nicht die definierenden Kriterien von Islamismus. Der sogenannte „legalistische Islamismus“ – heute oft „Politischer Islam“ genannt – verfolgt seine Ziele mit friedlichen Mitteln etwa in Bildungskontexten im Rahmen der geltenden Rechtsordnung, die er jedoch langfristig umzugestalten beabsichtigt.
Grundlagen des Islamismus
Der Islamismus kann sich auf die religiösen Quellen des Islam (v. a. Koran und Sunna) berufen, insoweit diese die politische Dimension muslimischen Lebens von vornherein in den Blick nehmen und deren Gestaltung normativ und autoritativ umreißen. Ansätze dazu finden sich im Koran angefangen bei Sure 2, der ersten in Medina geoffenbarten Sure. Spätere Quellen enthalten weitere Impulse zu vielfältigen gesellschaftlichen Themen, die – nicht nur von Islamisten – so interpretiert werden, dass sie als Grundlage für eine „umfassende islamische Gesellschaftsordnung“ angesehen werden können. Eine besondere Rolle spielt dabei die Konstituierung des ersten islamischen „Staates“ in Medina durch Muhammad (Stichwort „Vertrag von Medina“), der dort nicht mehr in der Defensive war, sondern ein politisches Gemeinwesen anführte und entsprechend agierte.
Unterstützung erfahren islamistische Konzepte dadurch, dass das orthodox-fundamentale Koranverständnis aller dominanten Islamrichtungen keinen im wissenschaftlichen Sinne historischen bzw. historisch-kritischen Zugang zu den Grundtexten des Islam kennt, so dass eine kritische Auseinandersetzung mit deren historisch-kultureller Gebundenheit weithin fehlt. Ansätze historisch-kritischer und hermeneutischer Verfahren sind im Wesentlichen nicht in der islamischen Welt, sondern in der Diaspora zu finden. Die engen Beziehungen vieler Musliminnen und Muslime in ihre Herkunftsländer und die Kommunikation von islamistischen Inhalten von dort über eine Vielzahl an Kanälen in die Häuser, Familien und Moscheegemeinden hinein vertiefen die Gräben an dieser Stelle.
Islamismus in Deutschland
In Deutschland rechnet der Verfassungsschutz mit 28.290 Personen im Bereich Islamismus und islamistischer Terrorismus („Islamistisches Personenpotenzial“, Stand Juni 2022, vgl. BMI, Verfassungsschutzbericht 2021, 180f. 188). Der Salafismus, über Jahre stark wachsend, ist mit 11.900 Personen (davon 15 Prozent Frauen) die zahlenmäßig bedeutendste islamistische Strömung im Land; in sich keineswegs homogen, in jüngster Zeit auch mit etwas weniger Strahlkraft als zuvor, aber nach wie vor mit erheblichem Gefahrenpotenzial, was Radikalisierung bis hin zur Gewaltbereitschaft anbelangt. Zum islamistischen Spektrum gehören nach Ansicht der Behörde ebenso die Milli Görüş-Bewegung und ihr zugeordnete Vereinigungen wie die Islamische Gemeinschaft Milli Görüş e. V. (IGMG) (▸ Muslimische Akteure) mit insgesamt etwa 10.000 Personen, sowie eine Reihe kleinerer Gruppierungen wie z. B. die Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG, früher IGD), die der islamistischen Muslimbruderschaft zuzurechnen ist. Pauschale Zuschreibungen sind indes problematisch. Für die IGMG etwa wird angeführt, sie befinde sich in einer Phase des personellen und strukturellen Wandels. Andererseits sind islamistische Tendenzen auch aus anderen Verbänden und Zusammenhängen bekannt. Auch Aktionen wie der antiisraelische und antisemitische al-Quds-Tag gegen Ende des Fastenmonats Ramadan mobilisieren viele Muslime. Ob und inwieweit islamistische Positionen z. B. innerhalb der Gülen-Bewegung (Hizmet) (▸ Muslimische Akteure) vertreten werden, ist Gegenstand einer kontroversen Debatte. Es wird daher jeweils um eine sach- und kontextbezogene Auseinandersetzung mit konkreten Äußerungen gehen.
Besonders einflussreich ist die massiv werbende islamistische, insbesondere salafistische Internetpropaganda. Sie bewegt sich zwischen dem Aufruf zur Wahrung der islamischen Identität gegenüber der als dekadent und moralisch verwerflich betrachteten westlichen Gesellschaft und Hassinhalten, die bis hin zur Gewaltbereitschaft radikalisieren (können). Der Salafistenprediger Ahmad Abul Baraa (Abul Baraa Tube) oder der salafistische Influencer Ibrahim El-Azzazi alias „Sheikh Ibrahim“ (IslamContent5778) sind Szenestars und erreichen Zehntausende vor allem junge Menschen. Realität Islam, Generation Islam sowie neuerdings Muslim Interaktiv haben eine ideologische Nähe zu der in Deutschland verbotenen Organisation Hizb ut-Tahrir, im weiteren Umfeld akzentuieren Kanäle wie Botschaft des Islam und Lorans Yusuf stärker religiöse Themen. Hinter Actuarium steht iran-nahe schiitisch-islamistische Propaganda (Hüseyin Özoğuz, Sohn der „Muslim-Markt“-Betreiber), während die scharfe Debatte zur Entlarvung und Widerlegung des Christentums auf IMAN TV inszeniert wird.
Extremistische Einstellungen unter Nichtmuslimen
Extremistische Einstellungen unter Nichtmuslimen sprechen Muslimen grundsätzlich die Demokratie- und die Integrationsfähigkeit ab. Sie bewegen sich jenseits der Grenzen sachlicher Islamkritik. Die negativ-stereotype Ablehnung von Muslimen und allem „Islamischen“ wird mit dem Begriff „Muslimfeindlichkeit“ umschrieben. Tendenziell etabliert hat sich auch die Bezeichnung „Islamophobie“, welche jedoch Ängste und daraus resultierende Ablehnung oder Hass pathologisiert und pauschal als unbegründet darstellt. Auch der Ausdruck Islamfeindlichkeit ist gängig und kommt ohne die psychologisierende Komponente aus. Muslim- oder auch Muslimenfeindlichkeit stellt von vornherein klar, dass es um eine feindselige Haltung gegenüber einer bestimmten Gruppe von konkreten Menschen geht (vgl. Fremdenfeindlichkeit).
Muslimfeindlichkeit ist dem Rassismus verwandt, wenngleich nicht mit ihm identisch. Der mehr und mehr bevorzugt verwendete Begriff „Antimuslimischer Rassismus“ hebt die Kritik an der „Rassifizierung“ von Musliminnen und Muslimen als die essenzialistisch homogenisierten „Anderen“ hervor, denen pauschal negative Eigenschaften, Gewalttätigkeit und Integrationsunwilligkeit zugeschrieben werden. Die Ausweitung bzw. Verschiebung von der Biologie auf die Kultur im Rassismusverständnis hat allerdings darin ihre Grenze, dass kulturelle Eigenheiten (etwa tiefgreifende Unterschiede bei Frauen- oder Homosexuellenrechten) im Gegensatz zu „biologisch-ethnischen“ sehr wohl einer Bewertung unterzogen werden können und müssen, soll nicht ein allgemeiner Kulturrelativismus und damit einhergehend ein Menschenrechtsrelativismus von vornherein derartige Werturteile unmöglich machen. Daher zieht der Rassismus-Begriff in diesem Zusammenhang die Kritik auf sich, es handele sich wie bei „Islamophobie“ um ein Hegemoniekonzept im öffentlichen Diskurs, das auf eine Immunisierung gegen legitime Kritik an islamisch-religiös fundierten demokratie- und menschenrechtsfeindlichen Konzepten und Handlungen überhaupt hinauslaufe.
Pauschale Stigmatisierung und Diffamierung
Muslimfeindlichkeit kann von unterschwelligen Vorbehalten über massive Ressentiments bis hin zu direkter Ausgrenzung oder zu verbalen und tätlichen Angriffen reichen. Sie hält „den“ Islam für bleibend unvereinbar mit den Grundlagen westlicher Gesellschaften bzw. des sogenannten christlichen Abendlandes und bedient sich dabei auch fremdenfeindlicher, rassistischer und rechtsextremer Agitationsmuster. Unter Berufung auf die freie Meinungsäußerung und die Behauptung, die Demokratie und die westlich-christliche Zivilisation zu verteidigen, werden Menschen mit muslimischem (oder vermeintlich muslimischem – hier wäre der Übergang zu depersonalisierenden rassistischen Stereotypen zu sehen) Familienhintergrund pauschal stigmatisiert und diffamiert. Populäre Vorurteile werden – häufig in beleidigender Form – verbreitet, ganz unterschiedliche (soziale, integrationspolitische, kulturelle) Problemlagen negativ auf den Islam zurückgeführt.
Muslimfeindlichkeit zeichnet sich ferner aus durch eine essenzialisierende Betrachtungsweise, die „den“ Islam, v. a. in seinem angeblich totalitären und militanten Wesen zu kennen beansprucht und dabei sowohl die historische wie aktuelle Vielfalt islamischer Positionen ignoriert. Der Islam wird nicht als Religion, sondern einseitig als politische Ideologie begriffen, was mit der Weigerung einhergeht, sachgemäß zwischen Islam, Islamismus und Terrorismus zu unterscheiden, sowie eine soziale Abgrenzungskonstruktion des „höherwertigen“ nichtmuslimischen „Wir“ von den „minderwertigen“ muslimischen „Anderen“ inklusive entsprechender Praktiken und Diskurse nach sich zieht.
Muslimfeindliche Agitation
Islamskepsis und Ablehnung gegenüber Musliminnen und Muslimen sind in Deutschland verbreitet und haben sich in den vergangenen Jahren verstärkt. Laut jüngeren repräsentativen Studien empfindet rund die Hälfte der Befragten den Islam als Bedrohung, über 40 Prozent sind ganz oder teilweise der Ansicht, dass die muslimische Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden solle. Muslimfeindlichkeit ist in Ostdeutschland höher als im Westen und bei Personen ohne Abitur stärker ausgeprägt als bei Personen mit Abitur (vgl. Decker u. a., 2016, 49f.143). Die Polarisierung der gesellschaftlichen Debatten zum Thema hat sich zudem verschärft, Ereignisse wie die Veröffentlichung und die Rezeption von Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ (2010) trugen zur Vertiefung des Misstrauens und der Verbreitung fremden- und islamfeindlicher Stereotype in der Mitte der Gesellschaft bei.
Eine herausragende Rolle bei der Verbreitung extremistischer muslimfeindlicher Agitation spielt das Internet. Im Mittelpunkt eines expandierenden „Netz- und Hetzwerks“ (Bade, 2013, 241) steht die Internetplattform PI-News (Politically Incorrect), die professionell aufgestellt ist und aus dem „bürgerlichen Mittelfeld“ gegen den Islam und die Muslime agitiert (rund 150.000 Klicks täglich, Eigenangabe 2023). Als virtuelles Sammelbecken vieler muslimfeindlicher Akteure bewegt sich PI-News am Rande der Legalität und wird seit 2021 vom Verfassungsschutz als „erwiesen extremistisch“ beobachtet. Einer der aktivsten Agitatoren in dem Umfeld ist Michael Stürzenberger, der ebenfalls unter Beobachtung steht. Muslimfeindlichkeit ist inzwischen in weite Bereiche der sozialen Medien diffundiert und weniger auf bestimmte Internetpräsenzen konzentriert. Gewisse Haftpunkte kann man in Webseiten wie Achgut (Achse des Guten)sehen oder der deutlich in die Jahre gekommenen Seite Gates of Vienna. Die als „islamkritische Menschenrechtsorganisation“ auftretende Bürgerbewegung Pax Europa (BPE) sieht im Islam als einem totalitären Gesellschaftssystem eine große Gefahr und will in diesem Sinne über Wesen und Ziele des Politischen Islam „aufklären“. Dies tut sie vor allem mit Kundgebungen und Infoständen in Innenstädten, Stellungnahmen und offenen Briefen. Leitsatz: „Für europäische Werte und Freiheiten – Gegen eine Islamisierung Europas“. Die islam- und fremdenfeindliche Organisation mit rechtsextremen Anteilen „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA) hat ihren Zenit seit einigen Jahren überschritten, erlangte aber von Dresden aus durch Demonstrationen und Kundgebungen („Montagsdemonstrationen“ in Anknüpfung an die Friedliche Revolution 1989, „Wir sind das Volk“) und die Bildung etliche Ableger in verschiedenen Städten eine überregionale Bedeutung, die auch darin liegt, dass hier ein krudes Amalgam von Ausländer- und Muslimfeindlichkeit, völkischen Verschwörungsfantasien, Reichsbürgertum, Identitären, Hooligans, Antisemitismus sowie Antiamerikanismus in Erscheinung tritt. Die Bewegung wird seit 2021 durch den sächsischen Verfassungsschutz als „erwiesen extremistische Bestrebung“ eingestuft und beobachtet.
Eine enorme Anziehungs- und Bündelungskraft im Blick auf Muslimfeindlichkeit geht von der Partei Alternative für Deutschland (AfD) aus. Unter AfD-Wählern sind es laut Studien rund 80 Prozent, die der Aussage zustimmen, Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden. Der Anteil derer, die abwertenden Aussagen über Musliminnen und Muslimen „voll und ganz“ oder „eher“ zustimmen, ist in der AfD-Wählerschaft mehr als doppelt so groß als in der Gesamtbevölkerung (vgl. Decker u. a., 2016, 82; Diekmann, 2023, 67). Aus dem Leitmotiv „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ wird eine Politik der Ab- und Ausgrenzung abgeleitet, die Partei driftet zunehmend nach rechtsaußen ab. Das Verwaltungsgericht Köln bestätigte 2022 in erster Instanz die Einstufung der Partei sowie der Jugendorganisation „Junge Alternative für Deutschland“ (JA) durch den Bundesverfassungsschutz als rechtsextremistischen Verdachtsfall.
Aus spezifisch religiös-fundamentalistischen Milieus wären – mit großem Abstand – noch etwa der unscheinbare Verein Christliche Mitte – für ein Deutschland nach Gottes Geboten (CM) zu nennen, der einst eine Partei war und muslimfeindlich am rechtsnationalen Rand agiert, sowie die ultrakonservative Priesterbruderschaft St. Pius X. (Piusbruderschaft), die aufgrund ihrer grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüber der Ausrichtung des Zweiten Vatikanischen Konzils auch die positiven Aussagen des Konzils zu den Religionen nicht nachvollzieht.
Auch im Blick auf die in diesem Teil genannten Zusammenhänge sind pauschale Zuschreibungen freilich problematisch. Von der Skepsis in Bezug auf die Kompatibilität bestimmter unterschiedlicher religiöser und kultureller Denkmuster und Verhaltensweisen über die Betonung der Errungenschaften von Wissenschaft und „Aufklärung“ sowie menschenrechtliche Erwägungen bis hin zu pauschaler Abwertung, Hass- und Hetzrede und letztlich Gewaltbereitschaft ist das mögliche Spektrum an Haltungen und Äußerungen sehr breit. Es wird daher auch hier jeweils um eine sach- und kontextbezogene Auseinandersetzung mit konkreten Äußerungen gehen.
Herausforderungen für den christlich-islamischen Dialog
Besonders verbreitet ist die Propaganda islamistischer wie muslimfeindlicher Einstellungen im Internet. Extremistische Haltungen äußern sich jedoch ebenso konkret im schulischen und beruflichen Umfeld wie auch im Alltag oder in öffentlichen Debatten, z. B. um Moscheebauten oder den Muezzin-Ruf. Hier bedarf es neben der Zivilcourage der kritischen Auseinandersetzung mit ihren Ursachen und Wirkungen. Es ist eine Aufgabe des christlich-islamischen Dialogs, jeder Form von Hass, Rassismus und fundamentalistischem Absolutheitsanspruch entgegenzutreten. Das betrifft islamfeindliche Pauschalurteile und antiislamische Hetze ebenso wie islamistische Propaganda. Zerrbilder, die extremistische Gruppen von der jeweils anderen Religion zeichnen, sind zu korrigieren und die Idealisierung der eigenen Religion muss selbstkritisch hinterfragt werden. Gleichzeitig dürfen kritische Fragen an die jeweils andere Religion im Dialog nicht ausgespart und bleibende Unterschiede zwischen den Religionen nicht verschwiegen werden. Einflussnahmen politisch-ideologischer Kräfte auf Gläubige, Gruppen und Gemeinden zu identifizieren und ihnen entgegenzuwirken ist nicht nur legitim, sondern im Sinne der gemeinsamen Aufgabe, das gesellschaftliche Miteinander zu gestalten, notwendig. Es muss unterschieden werden zwischen Islamkritik (Kritik an religiös untermauerten demokratie- und menschenrechtsfeindlichen Konzepten und Handlungen) und Muslimfeindlichkeit. Ohne diese Voraussetzung sind zahlreiche kirchliche Presseerklärungen und Verlautbarungen, die Sensibilität gegenüber Gefährdungen der demokratischen Grundordnung, menschenverachtenden Äußerungen oder Aufrufen zu Hass und Gewalt anmahnen, zur Wirkungslosigkeit verurteilt, da sich jede Formulierung von Konsequenzen dem Vorwurf der Muslimfeindlichkeit aussetzt.
Die Einübung aktiver Toleranz geht mit der Festigung in der eigenen Glaubenstradition einher. Ziel muss es sein, die wertschätzende Wahrnehmung des Anderen und die Anerkennung einer säkularen freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung aus der Mitte des eigenen Glaubens heraus zu begründen und konstruktiv zu legitimieren. Neben der Antwort auf die inhaltliche Herausforderung extremistischer Einstellungen durch Bildungs- und Schulungsarbeit insbesondere von Multiplikatoren haben sich auch verschiedene öffentlichkeitswirksame Aktionsformen bewährt. So kann durch christlich-muslimische Friedensgebete oder Kulturfeste demonstrativ antiislamischen oder islamistischen Kundgebungen entgegengetreten werden.
Zitierte Literatur
Bade, Klaus J., Kritik und Gewalt. Sarrazin-Debatte, „Islamkritik“ und Terror in der Einwanderungsgesellschaft, Schwalbach i.Ts. 2013
Bundesministerium des Innern und für Heimat (Hg.), Verfassungsschutzbericht 2021, Berlin 2022 Download
Decker, Oliver, Johannes Kiess, Elmar Brähler, Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland, Gießen 2016 Download
Diekmann, Isabell, Muslim*innen und Islamfeindlichkeit. Zur differenzierten Betrachtung von Vorurteilen gegenüber Menschen und Religion, Wiesbaden 2023 Download
Zum Weiterlesen
Bade, Klaus J., Kritik und Gewalt. Sarrazin-Debatte, „Islamkritik“ und Terror in der Einwanderungsgesellschaft, Schwalbach i.Ts. 2013
Kienzler, Klaus, Der religiöse Fundamentalismus. Christentum, Judentum, Islam, München 2007
Schleichert, Hubert, Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren. Anleitung zum subversiven Denken, München 2011
Schneiders, Thorsten Gerald (Hg.), Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen, 2. Aufl., Wiesbaden 2010
Schröter, Susanne, Politischer Islam. Stresstest für Deutschland, 2. Aufl., Gütersloh 2019