Das Wort „Dialog“ bildet das Schlüsselwort dieses Handbuches bzw. der Beiträge dieser Website. Damit ist natürlich zunächst im alltagssprachlichen Sinn des Wortes ein Wechselgespräch zwischen zwei Personen oder Parteien gemeint. Das besagt auch der altgriechische Ursprung des Wortes „diálogos“, das eine Unterredung im Sinne eines wechselseitigen Austausches von Worten bezeichnet.
Darüber hinaus verbergen sich hinter diesem Begriff auch Ziele, die über den alltäglichen Gebrauch hinausgehen.
In der altgriechischen Philosophie wird von Platon der Dialog nicht nur als wechselseitiger Austausch von Ansichten und Einsichten verstanden, sondern dies wird mit dem Ziel verbunden, in einem solchen Austausch Fortschritte im Verständnis einer Sache zu machen und der Wahrheit näher zu kommen. „Logos“ ist dann nicht nur das gesprochene Wort, sondern auch die tiefere „Logik“ im Sinne eines rechten Verstehen eines Sachverhaltes und der Suche nach Erkenntnis. In diesem Sinne wird in der christlichen Bibel Gott selbst als das Wort verstanden, das von Anfang der Welt existiert.
Der jüdische Theologe Martin Buber sieht in dem wechselseitigen Austausch und dem Zusammenleben mit einem personalen Gegenüber den Grundbaustein alles sozialen Lebens. Der oder die andere ist unverzichtbar für das eigene Selbstverständnis.
Ein Dialog kann auch eine zusammenführende, Konflikt mindernde und heilende Rolle spielen. So sind Gespräche auf der Basis von dialogischen Konzepten und Techniken in der (psychologischen) Therapie, in der Bewältigung sozialer Konflikte und auch in der Diplomatie von großer Bedeutung.
„Dialog“ beinhaltet in diesem vertieften Sinne angemessene Techniken und professionelle Fähigkeiten, um zum gewünschten Ziel der Klärung einer Situation, einer Verständigung oder einem Ausgleich zu führen.
Dimensionen des Dialogs
Wir als Herausgeber verstehen diesen Schlüsselbegriff „Dialog“ in den beiden Bedeutungsebenen, also als den ungezwungenen Austausch im Gespräch wie auch als Bezeichnung für Konzepte und Strategien, die fachliche und professionelle Kenntnisse einschließen. Speziell für den Dialog zwischen Menschen aus unterschiedlichen religiösen Traditionen ist zudem eine Kenntnis der unterschiedlichen Religionen, ihren Quellen und ihren grundlegenden Überzeugungen und Praktiken sehr nützlich, oft auch unverzichtbar.
Oftmals wird im Hinblick auf den interreligiösen Dialog zwischen vier Ebenen unterschieden. (1) Im „Dialog des Lebens“ sollen Menschen Probleme und Chancen ihres unmittelbaren gemeinsamen Lebensumfelds im Alltag teilen. (2) Der „Dialog des Handelns“ soll Menschen unterschiedlicher religiöser Orientierung im gemeinsamen Handeln zusammenführen. (3) Im „Dialog des theologischen Austausches“ werden von Fachleuten und Kennern der religiösen Traditionen deren Grundlagen oder Schriften sowie deren Interpretationen ausgetauscht mit dem Ziel eines besseren wechselseitigen Verstehens und der Minderung von Missverständnissen und Vorurteilen. (4) Zudem zielt der „Dialog der religiösen Erfahrung“ darüber hinaus auf einen praktischen Austausch und möglicher Gemeinsamkeiten im spirituellen Bereich.
Die Rolle des interreligiösen Dialogs
Der interreligiöse Dialog hat in den zurückliegenden Jahrzehnten eine immer wichtigere Rolle gespielt, obwohl es solche Dialoge vereinzelt auch schon zu früheren Zeiten gegeben hat. Die Einsicht, dass zahlreiche gesellschaftliche und zwischenstaatliche Konflikte auch mit religiösen Orientierungen zu tun haben und eine Verständigung zwischen Konfessionen und Religionen eine Voraussetzung für die Lösung von Konflikten grundlegend ist, hat zu zahlreiche interreligiösen Initiativen geführt. Im deutschsprachigen Raum hat vor allem die Zuwanderung von Muslimen in den zurückliegenden Jahrzehnten neben religiöser Diversität auch soziale Herausforderungen mit sich gebracht.
Der interreligiöse Dialog, vor allem der zwischen Muslimen und Christen, zielt deshalb auf ein besseres gegenseitiges Verstehen, auf die Minimierung von Konflikten, die Förderung von Respekt und Toleranz sowie die Identifizierung gemeinsamer Überzeugungen und Werte und die Arbeit an gemeinsamen Zielen und Vorhaben.
Der interreligiöse Dialog hat Voraussetzungen
Ein Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher religiöser Prägungen setzt voraus, dass die Freiheit religiöser Überzeugungen gewährleistet ist. Dies ist nicht nur im rechtlichen Sinne, also im Hinblick auf die Garantie von Religions- und Meinungsfreiheit, gemeint, sondern auch im Hinblick auf das Klima von Respekt und Akzeptanz in einer Gesellschaft. Ist dieses nicht gegeben, wird ein Dialog durch ungleiche Rahmenbedingungen erschwert oder sogar unmöglich gemacht.
Wissen, Kenntnisse und Urteilsfähigkeit sind ebenso notwendig, wenn nicht sogar unabdingbar, um in einen produktiven wechselseitigen Austausch einzutreten. In diesem Feld sind die Bildungseinrichtungen einer Gesellschaft wie auch die Religionsgemeinschaften selbst gefragt, um diese Voraussetzungen zu gewährleisten und das Bewusstsein für deren Dringlichkeit zu stärken.
Darüber hinaus ist es notwendig, dass nicht nur die Bereitschaft, sondern auch die Fähigkeit bei allen Betroffenen besteht, die eigenen Überzeugungen und mögliche Vorurteile und Missverständnis befragen zu lassen. Dies erfordert eine Erziehung zur Dialogfähigkeit und Diskursivität als Querschnittsaufgabe des Bildungssystems.
Der muslimische Theologe und Denker Abduldjavad Falaturi sieht in der Vorstellung von alleiniger Seligkeit für die Anhänger des eigenen Glaubens und von Verdammnis für alle anderen als ein Hindernis für den Dialog. Dadurch werden sowohl die göttliche Liebe und Barmherzigkeit einengt als auch Gott in egozentrischer Weise bevormundet.
Das Wort „Dialog“ schließt Sprechen und Zuhören ein. In vielen Situationen des Alltags ist beides eine wichtige Übung, nämlich die eigenen Überzeugungen so zum Ausdruck zu bringen, dass sie von anderen verstanden und nachvollzogen werden können und gleichzeitig die Bereitschaft und Offenheit zu zeigen, die Überzeugungen von anderen verstehen zu wollen.
In vielen Konfliktsituationen von Familie und Nachbarschaft bis in die internationale Politik sind Gespräche und Verhandlungen die einzigen Möglichkeiten, zu Verständigungen und Lösungen zu kommen, die allen Seiten gerecht wird und Gewalt vermeidet. Eine einladende Geste, ein anerkennendes Wort, eine verständnisvolle Erwiderung, der Respekt gegenüber anderen und deren Überzeugungen und religiösen und kulturellen Traditionen, die Praktizierung von Fairness und Höflichkeit – all dies kann eine Kultur des Umgangs schaffen, die Menschen im Tun des Guten und in der Überwindung von Ressentiments und Konflikten stärkt. Christentum wie Islam bieten wichtige Quellen von Überzeugungen, Verhaltensregeln und Spiritualität, die ein friedvolles Miteinander zum Ziel haben, das sich von der Liebe zu Gott und der Liebe zum Mitmenschen leiten lässt.
Hindernisse und Grenzen des Dialogs
Man muss aber neben den Möglichkeiten und Chancen von Gesprächen und Dialog auch die Grenzen, Asymmetrien und Hindernisse vor Augen haben, um aus diesem Begriff weder ein Allheilmittel noch einen Kampfbegriff zu machen. Dialog muss von beiden Seiten gewollt sein und freiwillig wahrgenommen werden. Denn oftmals sind die beteiligten Seiten ungleiche Parteien, was Ressourcen, Einfluss und Macht betrifft. Dialog kann zur Farce werden, wenn man miteinander redet und sich austauscht, aber ungerechte Strukturen oder Machtverteilungen nicht angerührt werden dürfen. Er ist auch dann nicht produktiv, wenn man aus Höflichkeit oder Konfliktscheu die wirklichen Probleme nicht anspricht und nur Freundlichkeiten austauscht, die atmosphärisch hilfreich sein mögen, aber untergründig Spannungen und Aggressionen fortleben lassen. Unehrlichkeit und Unaufrichtigkeit sind Gift für einen Dialog. Es bedarf ebenso einer kritischen Wachsamkeit, wenn demokratische Freiheiten genutzt werden, um eben diese zu bekämpfen.
Dialoge stoßen auch dort an ihre Grenzen, wo Menschen unbeirrbar an ihrer Meinung festhalten wollen. Hass, Fanatismus, Besserwisserei und Rechthaberei machen Dialoge unmöglich wie auch extremistische Überzeugungen, die darauf zielen, die andere Seite verächtlich zu machen, zu bekämpfen oder in andere Weise zu überwältigen. Sicherlich ist es nicht leicht einzuschätzen, wann bei aggressiven Äußerungen oder Verhaltensweisen professionelle Mediatoren, Polizei oder Staatsanwaltschaft einzuschalten sind, um gegen Beleidigungen oder Rechtsverstöße vorzugehen. Auf keinen Fall dürfen Dialogveranstaltungen der Ort sein, aus Höflichkeit und Toleranz Hass und Intoleranz zuzulassen – egal von welcher Seite. Offenheit für den Dialog umfasst deshalb nicht nur die Bereitschaft, viele Überzeugungen gelten zu lassen und anzuhören, sondern auch die Entschlossenheit, sehr selbstbewusst die Grundwerte und Verhaltensregeln einzufordern, die notwendig sind, um ein Miteinander in produktive Bahnen zu lenken und eine Kultur der Toleranz und Gewaltlosigkeit in Worten wie in Taten zu fördern.
Sind Religionen Förderer des Dialogs?
Religionen waren und sind beides, Quelle von Friedenssehnsucht und Verständigung wie auch von Überlegenheitsansprüchen, Abgrenzung und Feindschaft gegenüber Andersgläubigen. Es ist bedauerlich, wenn religiöse Gruppierungen sowohl im Christentum wie auch im Islam den Eindruck vermitteln, dass sie mehr an einer aggressiven Selbstbehauptung und der feindlichen Abgrenzung gegenüber anderen interessiert sind und dazu Rechtfertigungen aus der jeweiligen Religion missbrauchen. Es ist zudem zu bedenken, dass in der Öffentlichkeit die Tendenz besteht, Gewalt und Aggressionen mehr Aufmerksamkeit zu schenken als Bemühungen um Ausgleich und Frieden. Ein Selbstmordattentäter wird in der Öffentlichkeit mehr wahrgenommen als tausend Friedensarbeiter.
Wir als Herausgeberinnen und Herausgeber dieses Handbuchs wollen die Verständigung suchende und Brücken bauende Rolle der Religionen unterstreichen und in den Beiträgen dieser Website zeigen, dass Dialog und Zusammenarbeit nicht nur möglich, sondern auch lohnend sind. Denn in den zurückliegenden Jahrzehnten konnten im deutschsprachigen Raum zahlreiche Dialoge und Strukturen der Zusammenarbeit zwischen Christen und Muslimen aufgebaut und gefestigt werden: im Bereich schulischen und vorschulischen Lernens, in Hochschulen und Universitäten, in der Zusammenarbeit von Moscheen und Kirchengemeinden, in Stadtteilarbeit und Projekten und nicht zuletzt in der Zusammenarbeit und dem Austausch über nationale und sprachliche Grenzen hinweg.
Die Bereitschaft zum Dialog kann nicht erzwungen werden; es gibt aber zu ihm keine Alternative, da ein friedvolles Zusammenleben in einer globalisierten Welt nur in der Verständigung zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen, Religionen und Überzeugungen möglich ist. In diesem Sinne sind Dialoge „soft skills“, also Instrumente ohne Machtmittel. Sie bedürfen der steten Bemühungen und der Bereitschaft der Beteiligten. In dieser Hinsicht sind Dialoge wahrhaft religiöse und spirituelle Werkzeuge, da sie auf das Denken, den Geist und die Seele von Menschen gerichtet sind und das Verständnis von Religionen als Friedensstifter zur Wirkung bringen wollen.
Zum Weiterlesen
Affolderbach, Martin, Voraussetzungen für das Gespräch und Hemmnisse des Dialogs aus christlicher Perspektive, in: Handbuch Christentum und Islam in Deutschland, hg. von Rohe, Mathias, u.a., Freiburg im Breisgau, 2014, Band 2, 1039 – 1065
Amirpur, Katajun, Voraussetzung für das Gespräch und Hemmnisse des Dialogs zwischen Christen und Muslimen aus muslimischer Perspektive, in: Handbuch Christentum und Islam in Deutschland, hg. von Rohe, Mathias, u.a., Freiburg im Breisgau, 2014, Band 2, 1066 – 1088
Körner, Felix, Im Dialog bleiben – Islamdialog 2.0. Wie Christen und Muslime miteinander reden sollten. Eine katholische Kurskorrektur, in: Zeitzeichen, Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft, Heft 2/2023, 31 – 33